Denn ich bin so wenig von hier wie von dort

von BRANKICA BECEJAC

Die deutsche Sprache gilt bekanntermaßen oder dem generellen Vorurteil gemäß unter den lebenden (also den zivilisierten) Sprachen als besonders hochwertige Ware. Orthographie, Interpunktion oder Intonation sind ein wahres Minenfeld der Besonderheit und wohl deshalb ist das Deutsche noch immer keine (Aller-)Weltsprache.

§ 1 „Sie sprechen aber gut Deutsch!“, lobt die vorgesetzte Angestellte, obwohl die so Angesprochene in Wahrheit schwachsinnig ist. Spricht sie doch von Natur aus einen Eingeborenenakzent, den niemand in der zivilisierten Welt zu benutzen in der Lage ist.

§ 2 „Du sprichst aber komisch!“, rufen die lieben Kleinen und wittern die Künstlichkeit der Rede, die sich nicht im freien Spiel der Kräfte, sondern in auszehrenden Lesenächten einstellt.

§ 3 Stille nach einer Rede, die kein Monolog werden sollte. Die Seminaristen stoßen sich nicht mit dem Ellbogen an. Schließlich ist nicht mehr Schule.

§ 4 Die anderen sind schlechter dran. Sie haben das eine vergessen und das andere nicht gelernt. Ich spreche alles! Auch ohne Edikt.

§ 5 Neben mir ein beinahes Opfer meines mir neu zugekommenen Volkes. Immerhin: er ein Mann und ich sein Gegenteil. Aber: ich – mögliche Mutter einer Herrenrasse, er – Deportationsfracht meiner faschistischen großen Brüder. Ich verstecke meine Identitätskarte. Er nicht. Er spricht nur die Sprache seines Opfervolkes. Der Konsulatsbedienstete ist sehr höflich zu dem Mann. Sind irgendwo versteckte Kameras des Ersten Deutschen Fernsehens in Stellung gebracht? Der Bedienstete macht mit mir Witze. Er fragt nach meiner Arbeit. Ich antworte in langsamer Muttersprache. Er ist wohlgesonnen. Mutmaßlich: ein Royalist.

§ 6 „Wie lange sind Sie schon in Deutschland? Wann gehen Sie wieder zurück? Sie haben sicher Heimweh!“ Sehr lange (zu lange); Nie mehr (das ist keine mögliche Antwort); NEIN (wie kalt doch diese intellektuellen Frauen sind).

§ 7 Bis 1982 hörte man es noch. Im Hochsommer des gleichen Jahres verschwand es für immer. Danach: „Man hört Ihnen das fast gar nicht an, dass Sie woanders zu Hause sind.“

§ 8 Eine andere Angestellte mit einem sehr dicken Arsch: „Ich hatte mal einen Schäferhund, der hieß genauso wie du.“ Lachen. Ich lache nicht mit. Ich nehme mich zu ernst.

§ 9 Ein Professor sagt: „Sie sehen doch richtig arisch aus (Schmunzeln, war nur ein Witz). Da haben Sie bestimmt keine Probleme mit rassistischer Aggression!“

§ 10 1979: Die Eltern suchen immer noch eine neue Wohnung. Das Kind erledigt die Telefonate mit den Vermietern. Wenn die Vermieter dann den Vater des Kindes vor sich haben, schlagen sie beiden (auch dem blonden Kind) die Tür in die Kanackenfresse. Das Kind weint tagelang.

§ 11 1999: Die Behördenangestellte sieht über alle Schwarzhaarigen hinweg zu mir hin. Sie lächelt, auch wenn ich keinen Termin habe: „Ihr Name?“ Ihr Gesicht hört auf. Es erlischt. Sie ist, obwohl eine erfahrene Kraft, einem Betrug aufgesessen. Denn ich bin innerlich behaart.

§ 12 An der Grenze zu einem Erstweltland stehe ich in der kurzen Schlange und weiß schon, dass das nicht der rechte Ort für mich ist. Ein indisch-englischer Grenzer schnauzt: „Ich behalte Ihren Pass!“ Endlich ist es geschehen. Ich werde eingesperrt wegen Missachtung aller Gesetze. Der Beamte verschont mich. Bin ich so blond?

§ 13 In der Fabrik haben die Polinnen unfehlbare Instinkte. Sie meiden mich: „Wier sin Dojtsche.“ In Wahrheit sind sie alle brünett. Man sieht es am Haaransatz. Vom Dazuverdienten kaufen sie sich eine rosa Schlafzimmergarnitur von Möma.

§ 14 1985: Onkel und Tante sagen dem Vater der Nichte ganz im Vertrauen: „Deine Tochter ist nicht ganz in Ordnung. Du musst sie härter anfassen.“ Das Mädchen duzte seine Eltern bei Tisch. Es sprach von selbst in die runden Gesichter der Verwandten. Das Mädchen ist zu dünn und blond. Es trägt eine Brille (wegen der Nächte) und geht im Ausland auf die höhere Schule. Es hat sich schon küssen lassen. Wie haben die das bloß rausgekriegt? Die Kleinbürger haben unfehlbare Instinkte. Sie hassen mich wirklich.

Hinweis: BRANKICA BECEJAC, geboren 1970 in Novi Sad, studierte Germanistik und Sozialpsychologie in Hannover. Sie lebte als freie Autorin in Berlin. Sie hat Gewalt immer bekämpft und sich auch im Schreiben gegen jede Form sexistischer und gesellschaftlicher Gewalt gewandt. Im Juni 2001 wurde sie von ihrem Mann ermordet.