„Mobilität muss für alle möglich sein“

Die Bahn sollte ein Interesse an Barrierefreiheit für ihre Kunden haben, sagt die Landesbehindertenbeauftragte

taz: Frau Gemkow, was war Ihre erste Reaktion auf das Urteil des Verwaltungsgerichts?

Angelika Gemkow: Mich hat das Urteil erstaunt. Wir haben gute Gesetze zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Wir haben Bauordnungen, in denen die Barrierefreiheit öffentlicher Anlagen klar geregelt ist. Nun stelle ich fest, dass besondere Regelungen wie zum Beispiel die Eisenbahnverordnung dieses Ziel der Barrierefreiheit infrage stellen.

Was können Sie als Landesbehindertenbeauftragte tun?

Druck kann ich nur beschränkt ausüben. Die Bahn müsste von sich aus ein Interesse an gut zugänglichen Bahnsteigen und Zügen haben. Sie muss erkennen, dass barrierefreie Angebote nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Ältere und Familien mit Kindern wichtig sind.

Anscheinend ist das Interesse nicht da. Viele NRW-Bahnhöfe sind nicht behindertengerecht.

In der Vergangenheit hat man auf diese Dinge leider zu wenig Wert gelegt. Die moderne Gesellschaft ist eine mobile Gesellschaft. Diese Mobilität und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben müssen für alle Menschen möglich sein.

Behindertenverbände bezeichneten das Gleichstellungsgesetz nach dem Urteil als „zahnlosen Tiger“.

Das würde ich nicht so sehen. Die Gleichstellungsgesetze in Bund und Ländern sind ein gutes Fundament. Sie ermöglichen auch, dass Menschen mit Behinderungen darauf fußende Forderungen stellen können.

Ihre Vorgängerin sagte, als Landesbehindertenbeauftragte habe man wenig Einfluss.

Diese Ansicht teile ich nicht. Bei jedem Amt ist es wichtig, was man daraus macht.

Wollen Sie unbequem sein?

Ja, das habe ich vor. Es ist meine Aufgabe, Brücken zu bauen, Gespräche mit Entscheidern zu führen und aufzuklären über die Probleme behinderter Menschen. Es gibt auch viele gute Beispiele, die öffentlich gemacht werden müssen.

Haben Behinderte zu wenig Fürsprecher?

Ich habe Sorge, dass behinderte Menschen durch andere Themen in den Hintergrund gedrängt werden. Sie kommen oft auch in den Medien zu kurz. Insbesondere im Fernsehen geht es mir viel zu häufig um boulevardträchtige Themen.

INTERVIEW: GESA SCHÖLGENS