Die Stadt als Leinwand

STREET ARTIST David Giersch sprühte einst illegal seine Tags an Häuserwände. Nun peppt er gegen Geld triste Plattenbauten auf

Es gibt maximal zwanzig Sprayer in Berlin, die von ihrer Kunst leben können. David Giersch ist einer davon

VON ANNA LEHMANN

An einer Hauswand in Berlin-Lichtenberg blühen etwa ein Meter hohe Mohnblumen. Sie leuchten dort sommers wie winters in kräftigem Rot. Ein Graffito. An sich nichts Außergewöhnliches in Berlin, wo sich jeder zweite Jugendliche dazu berufen fühlt, Tags mit Edding oder Spraydose auf dem Gesicht der Stadt zu hinterlassen. Das Besondere an den gesprayten Mohnblüten ist ihr Alter. Sie prangen seit drei Jahren an dieser Hauswand und nicht ein einziger Schriftzug crosst, oder zerschneidet, Blüten und Stängel. Komisch. David Giersch, der Urheber, zuckt die Schultern: „Man kennt mich halt in der Szene.“

Phill, wie Giersch in der Szene heißt, ist einer der besten Graffitikünstler Berlins. „David ist eine Institution“, sagt ein Freund.

Und er ist einer der wenigen, die es geschafft haben, aus ihren illegalen Wandmalereien einen legalen Broterwerb zu machen. „Es werden maximal zwanzig sein in Berlin, die davon leben können“, schätzt Giersch.

Angefangen hat er wie viele Mitte der 90er Jahre als Teenager mit eiligen Buchstaben an Häuserfassaden. Damals schwappte die bunte Graffitikultur über den Mauerstreifen und breitete sich im ziemlich grauen Osten rasch aus. In Hellersdorf, wo Giersch als Jugendlicher aufgewachsen ist, gibt es hunderte uniformer Plattenbauten mit einladend glatten weißen Wänden.

Später nahm er auch Dächer, „rooftops“ in der Szene genannt, und ganze S-Bahn-Züge („wholecars“) in sein Repertoire auf. Giersch gehörte zu einer Gruppe, die sich unter anderem auf Bombings spezialisiert hatten – riesige Buchstaben in Silber umrahmt von schwarzen Outlines. Nachts stundenlang an den Gleisen zu warten, das Terrain zu sondieren, die Intervalle der Wachschützer zu notieren und dann auf Tempo eine halbe oder eine dreiviertel Stunde lang zu sprühen, das hatte seinen Reiz. Doch irgendwann hatte sich die Polizei tief genug in die Szene gewühlt, auch Giersch musste Lehrgeld zahlen.

Da hatte er sich innerlich schon vom Kitzel des nächtlichen Gekritzels abgewandt. „Ich habe schnell für mich erkannt, dass mich Buchstaben gar nicht interessieren.“

Er spezialisierte sich auf Hintergründe, malte Figuren, die auch als „characters“ bezeichnet werden. Die Vorlagen fand er in Zeitschriften und in der S-Bahn. Er nahm sich eine Station Zeit, ein Gesicht zu skizzieren, und vervollständigte es dann, bis ins kleinste Detail. Seine Spezialität sind fotorealistische Porträts. „Ich will am liebsten alles bis in die kleinste Pore darstellen.“

Den Großteil seines Könnens verdankt er sich selbst. Im Jahre 2004 lernte er ein Jahr als Praktikant bei einem Berliner Airbrush-Künstler. Mittlerweile sind sie Partner und Giersch ist mit ins Atelier gezogen. Seine ersten Aufträge hatte er noch mit einer Mappe in der Hand bei Firmen eingeworben. Mittlerweile kommen die Anfragen von selbst.

Die Mohnblumen sprühte er im Auftrag einer Wohnungsbaugesellschaft. Schicht um Schicht, fast eine Woche lang. Bei Tageslicht.