Asien frisst Afrika

GLOBALISIERUNG Erst kam China, jetzt umwerben alle den Kontinent als Wachstumsregion. Die Diskussion darüber findet woanders statt

Afrikas Politiker sind begeistert vom Run auf ihren unerschlossenen Kontinent

VON DOMINIC JOHNSON

Symbolträchtiger geht es nicht. Ausgerechnet zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit von Europa, den halb Afrika dieses Jahr feiert, ließ Senegals Präsident Abdoulaye Wade am 3. April ein gigantisches Denkmal einweihen, das ihm Nordkorea gebaut hatte.

Das 53 Meter hohe „Monument der Afrikanischen Renaissance“ zeigt einen Mann mit seiner Frau und seinem Sohn auf dem Weg zur Morgenröte. Es spaltet die senegalesische Nation, die als einst älteste europäische Kolonie in Afrika bis heute eine auf dem Kontinent tonangebende Intellektualität pflegt: Progressive verhöhnen das Denkmal als realsozialistischen Kitsch, Religiöse verdammen es als Teufelszeug, Oppositionelle geißeln es als Ausdruck des Größenwahns eines alternden Präsidenten, der dafür rund 25 Millionen Euro Staatsgelder ausgab und dann festlegte, dass 35 Prozent der Einnahmen aus der Besichtigung des Areals in eine Stiftung unter Kontrolle seiner Tochter fließen. Aber über eines sind sich alle einig: Dieses Denkmal steht für Afrikas Abwendung von Europa. Asien lautet der Kontinent der Zukunft. Oder, wie es Senegals Regierung in ihrer Beschreibung des Denkmals ausdrückt: „Ein Afrika, das sich aus den Eingeweiden der Erde erhebt und aus der Dunkelheit ans Licht strebt.“

Platter hätte es auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nicht ausdrücken können. Ausgerechnet in Senegals Hauptstadt Dakar dozierte er am 26. Juli 2007 vor Professoren, das Problem der Afrikaner sei, dass sie „noch nicht in die Geschichte eingetreten“ seien. In zahlreichen Buchveröffentlichungen haben Afrikas empörte Intellektuelle seither Kontra gegeben. Aus afrikanischer Sicht ist es eher Europa und speziell Frankreich, das sich aus der Geschichte verabschiedet. Asien weist den Weg, mit seinem Entwicklungsrezept aus politischer Eiszeit und ökonomischer Umwälzung. Das passt afrikanischen Autokraten.

Für die meisten afrikanischen Länder ist China längst der wichtigste Partner. Nach China fließen jedes Jahr mehr Öl aus Sudan und Angola, mehr Mineralien aus Katanga und Madagaskar, mehr Tropenhölzer aus dem Kongo-Becken. Nach Afrika strömt Kapital in Form von Menschen und Beton. Eine Million Chinesen leben und arbeiten in Afrika. Chinesische Firmen bauen Staudämme, Kraftwerke, Flughäfen, Fernstraßen, Regierungspaläste, Sportstadien, Hotels und Wohnsiedlungen. Die chinesische Sinohydro, Erbauer des Dreischluchtendamms am Yangtse-Fluss, hatte Ende 2008 rund 80 Großprojekte in Afrika, weitere sind in Vorbereitung. Im ersten Quartal 2010 importierte Asien jeden Tag 1,75 Millionen Barrel Öl aus Afrika, 65 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und fast so viel wie die USA. Zwei Drittel davon gehen in die Volksrepublik China, der Rest nach Indien, Taiwan und Indonesien.

Inzwischen umwirbt auch jedes asiatische und lateinamerikanische Schwellenland die Afrikaner, von Brasilien über Iran bis Indonesien. Japan entwickelt moderne Reissorten, Südkorea entwirft den Grüngürtel „Große Grüne Mauer“ quer durch die Sahelzone zum Stopp der Wüstenausbreitung, Indien lässt alte Handelsverbindungen mit Ostafrika spielen, Thailand und Malaysia verarbeiten kongolesische Erze, Israel schickt Militärberater, Russland Piloten. Auch die Bergbauindustrien Kanadas und Australiens sind längst aktiv.

All das ist erst der Anfang. Offenen Investoren winken immense Bergbaumöglichkeiten unter der Sahara, Ölreserven im Afrika der Großen Seen, ungenutztes Ackerland im Süden, Wasserkraftpotenziale am Kongo-Fluss, Solarenergie im Norden. Angesichts zunehmender globaler Rivalitäten um die Aluminium- und Eisenerzvorkommen Guineas, die zu den größten der Welt gehören, rief der Pariser Afrika-Fachbrief La Lettre du Continent jetzt sogar „eine neue Berliner Konferenz, gewidmet dem Bergbau“ aus, in Erinnerung an die Aufteilung Afrikas zwischen den Kolonialmächten auf der Berliner Konferenz 1884/85. „Die großen Spieler des afrikanischen Monopolys sind heute Chinesen und Russen.“

Afrikas Politiker sind begeistert vom Run auf ihren Kontinent als letzte unerschlossene Wachstumsregion der Erde. Afrikas Bevölkerung sieht das meist skeptischer. Chinesische Arbeitgeber sind skrupelloser und autoritärer als europäische und interessieren sich weniger für Sozialleistungen und Arbeiterrechte. Nach Afrika gelieferte chinesische Produkte, von Toilettenpapier und Seife über Steckdosen und Baumaterialien bis hin zu Gebäuden und Straßen, sind von notorisch schlechter Qualität. Chinesische Kleinhändler, die mit asiatischer Billigproduktion afrikanische Märkte überschwemmen, sind mittlerweile verhasst. Chinesische Medizin ist für Afrikaner spannend, aber undurchsichtig. Für chinesische Kultur interessiert sich in Afrika kein Mensch. Dass Chinesen sich mehr für afrikanische Kohlköpfe begeistern als für afrikanische Frauen, wird von Afrikanern gern als Zeichen mentaler Unterentwicklung interpretiert. Andere Asiaten sind keineswegs besser: Inder gelten als unverbesserliche Rassisten, iranische Autos verbrauchen viel zu viel Sprit. Nur japanische Geländewagen finden in Afrika Gnade.

„Ein Afrika, das sich aus den Eingeweiden der Erde erhebt und aus der Dunkelheit ans Licht strebt“

Eine offene Debatte über die Vor- und Nachteile Asiens findet aber in Afrika nur punktuell statt. Zum ersten Mal in einem afrikanischen Wahlkampf kontrovers thematisiert wurde Chinas Rolle in Sambia bei der Präsidentschaftswahl 2006, als Oppositionskandidat Michael Sata gegen die Freundschaft der Regierung in Peking zu Felde zog und in den Städten, wo chinesische Firmen aktiv sind, viele Stimmen holte. In Chinas wichtigsten afrikanischen Partnerländern Sudan und Angola wäre das hingegen unmöglich.

Weiter gediehen ist die Debatte in den alten Industrienationen. Die am besten dokumentierte Chinaskepsis lieferten vor vier Jahren die französischen Journalisten Serge Michel und Michel Beuret mit ihrem Buch „Chinafrique: Peking erobert den Schwarzen Kontinent“. Vergangenes Jahr in zweiter Auflage erschienen, zeichnet „Chinafrique“ ein finsteres, aber minutiös recherchiertes Chinabild: Waffen für Diktatoren in Sudan und Simbabwe, illegale Abholzung und Wilderei im Kongo, Repression und Rassismus in Sambia, windige Geschäfte in Nigeria, gebrochene Versprechen in Angola. Die einstigen Hoffnungen Afrikas seien zerstoben: „China banalisiert sich in Afrika. Es beginnt, anderen Akteuren zu gleichen, mit seinen Kohorten von Sicherheitsgarden, stecken gebliebenen Baustellen, Korruptionsskandalen und Missachtung der lokalen Bevölkerung.“

Die Gegenrede dazu ist jetzt ausgerechnet aus den USA gekommen, wo es unter Barack Obama Mode geworden ist, sich von der skeptischen Haltung George Bushs abzugrenzen. „Das Geschenk des Drachens: Die wahre Geschichte Chinas in Afrika“ der US-amerikanischen Professorin Deborah Brautigam, veröffentlicht Anfang 2010, sieht China als Wohltäter: sozialer Aufbau in Angola, Partnerschaft auf Augenhöhe in Guinea, sorgfältige Investitionsvorbereitung in Liberia. In einem Interview erklärte sie kürzlich, Europäer gäben ihr Geld meist direkt an afrikanische Regierungen, China hingegen an seine eigenen Firmen, die dann in Afrika tätig würden, so wie einst Japan. Auf ihrem Blog bemüht sich Brautigam, angebliche Lügen und Mythen über das chinesische Afrika-Engagement zu widerlegen: Landkauf in Liberia, Palmölplantagen im Kongo, Milliardenübernahmen in Guinea – all diese Projekte seien entweder erfunden oder viel kleiner, als im Ausland berichtet.

Die beiden Positionen sagen vermutlich mehr über die jeweilige Befindlichkeit Frankreichs und der USA gegenüber China aus als über Afrika selbst. Auch das ist symptomatisch für Asiens Auftrumpfen. Die afrikanische Stimme muss sich erst noch erheben.