Amnesty will schärfere Exportkontrollen

AUSSENHANDEL Laut Bundeswirtschaftsministerium sind von 1998 bis 2011 rund 360 Tonnen Chemikalien nach Syrien geliefert worden, die auch zur Herstellung von Giftgas verwendet werden können

Die Linkspartei fordert, „notfalls“ einen Untersuchungsausschuss einzurichten

BERLIN epd/dpa/taz | Angesichts der Debatte über von Deutschland an Syrien gelieferte Chemikalien hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schärfere Kontrollen gefordert. „Das Problematische ist, dass man nicht immer weiß, ob diese Güter militärisch oder zivil genutzt werden“, sagte Amnesty-Rüstungsexperte Mathias John am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es müsse daher lokale Prüfungen vor und nach dem Export von waffenfähigen Substanzen geben.

Am Montag war bekannt geworden, dass die Bundesregierung bis kurz vor Beginn des Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 rund 360 Tonnen chemiewaffentauglicher Substanzen nach Syrien geliefert hat. Bei den Chemikalien handelte es sich um sogenannte Dual-Use-Güter. Dies sind Stoffe, die in diesem Fall sowohl zur Produktion von Giftgas als auch bei der Veredelung von Schmuck oder der Herstellung von Zahnpasta verwendet werden können. „Gerade bei einem Land wie Syrien, das zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht das Chemiewaffenabkommen der Vereinten Nationen unterzeichnet hat, hatte die Bundesregierung eine besondere Sorgfaltspflicht, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern“, sagte John. Auch wenn es nur ein geringes Restrisiko gegeben hätte, hätte Deutschland diese Stoffe nur mit strengen Vor-Ort-Kontrollen liefern dürfen.

Die Ausfuhr der Chemikalien wurde vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), das dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht, genehmigt. „Die derzeitigen Prüfvorgänge reichen jedoch so nicht aus“, so John. Er forderte zudem eine Veröffentlichungspflicht von Exportgenehmigungen für Dual-Use-Güter. Ihr Export müsse ähnlich strengen Vorgaben unterliegen wie der Verkauf von Waffen.

Auch der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, kritisiert, die Bundesregierung habe „das Risiko einer Verwendung der gelieferten Chemikalien für das Chemiewaffenprogramm offenbar bewusst in Kauf genommen“, sagte er. Allein die Regierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hätten 163 Tonnen Fluorwasserstoff und 38 Tonnen Ammoniumhydrogendifluorid an Syrien geliefert, die auch zur Herstellung des Giftstoffes Sarin eingesetzt werden. Notfalls müsse ein Untersuchungsausschuss dies aufklären.

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums gab es keine Hinweise darauf, dass die Chemikalien nicht für zivile Zwecke verwendet wurden. Bei der Prüfung berief sich das Ministerium auch auf Informationen der Geheimdienste. Nach Angaben des Ministeriums wurden Substanzen ausgeführt, die „eine breite, zivile Anwendung haben, zum Beispiel bei der Oberflächenbehandlung von Metallen, etwa bei der Herstellung metallischer Überzüge (Gold, Silber, Kupfer, Nickel) in der Schmuckindustrie, beim Mattieren bzw. Ätzen von Glas und bei der Fluorierung von Trinkwasser“.

Bereits vor zwei Wochen hatte das Ministerium nach einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion mitgeteilt, dass in den Jahren 2002, 2003, 2005 und 2006 insgesamt 134 Tonnen Chemikalien aus Deutschland nach Syrien geliefert worden waren, die auch zur Herstellung von Giftgas verwendet werden können. Jetzt liegt die komplette Liste für die Jahre 1998 bis 2001 vor.