AUGENBRAUENZUPFEN: Bagdad Blues
Wenn Freundinnen zu Besuch nach Berlin kommen, nehme ich sie gerne mit zum Coiffeur Bagdad. Davon sind sie immer begeistert, denn da, wo sie herkommen, gibt’s so was nicht: Augenbrauenzupfen mit Fadentechnik. Das könne heutzutage auch hier in Neukölln fast niemand mehr, klagt Zuhra, die Chefin. Zuhra ist aus Bagdad und sagt, die Lage sei dort jetzt besser. Sie selbst ist heute eher genervt: schwere Beine vom vielen Stehen, und die arabische Kundschaft mache nie Termine – die kämen einfach, und zwar grundsätzlich alle auf einmal oder gar keiner. Ich selbst komme auch ohne Termin, bin schließlich multikulti.
Heute habe ich statt einer Freundin einen Freund mitgebracht, Besuch aus München. Er braucht dringend einen Haarschnitt und wird sogleich auf die linke, die Männerseite verbannt, während ich Rücken an Rücken mit ihm auf die Fadenzupferin warte. Im Fernseher dudelt ein arabischer Popsong; eine schöne Frau schreitet zwischen wehenden Gardinen umher, offenbar von Schmerzen geplagt. Vielleicht hat auch sie schwere Beine. Zuhra schaltet um auf die Nachrichten. Ich bin dran und werde gezupft, während das Neueste über Missbrauchsfälle ertönt. Ich wüsste gern, was Zuhra dazu denkt, traue mich aber nicht zu fragen.
Hinter mir erklingt ein lautes Surren – mein Besuch ist bereits unterm Messer oder besser unterm Rasenmäher. Vielleicht hätte ich ihn warnen sollen. Zuhra bepinselt indes meine Brauen mit brauner Farbe. Im Groucho-Marx-Look drehe ich mich zu meinem Besuch um, dem gerade der Nacken ausgefegt wird. Auch er sieht verändert aus: Seine Haarspitzen befinden sich nun geschätzte zwei Millimeter unter der Kopfhaut. „Macht fünf Euro.“ Der Besuch zahlt und schweigt höflich, bis er vor der Tür anfängt zu granteln. Ach, nächstes Mal nehme ich wieder eine Freundin mit. ULLA ZIEMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen