Pionierin, Anarchistin, Königin

FILM Im Werkstattgespräch in der Volksbühne gastiert die Regisseurin Ula Stöckl – ihre Schule: Der Neue Deutsche Film

Es ist schon etwas Besonderes, den Berichten eines Regisseurinnenlebens zu lauschen, das es in der Form wohl heute nicht mehr gäbe. Saskia Walker vom Filmmagazin Revolver begrüßt die „kleine, aber feine“ Runde zum Gespräch mit Ula Stöckl im Roten Salon. „Nennen wir es mal ein intimes Werkstattgespräch“, sagt die Moderatorin. Von den wenigen Besuchern krabbeln die auf den hinteren Plätzen Sitzenden einer nach dem anderen in die vorderen Reihen.

Ein Ausschnitt aus Stöckls 1976er Beziehungsdrama „Erikas Leidenschaften“ liefert den Auftakt. Darin zu sehen: Erika und Franziska, wie sie diskutieren, Ungleichheiten im gemeinsamen Miteinander offenlegen; während sich die eine auf dem Bett in verschiedene Positionen rollt, probiert die andere Blusen aus dem Kleiderschrank der Freundin durch.

Ula Stöckl macht Filme seit den frühen 60er Jahren. Sie ist eine Pionierin, denn sie war damals die erste weibliche Filmstudentin an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm, eine der Keimzellen des Neuen Deutschen Films mit Edgar Reitz und Alexander Kluge als Dozenten. Seitdem hat sie mehr als 20 Drehbücher realisiert, das Festival Films de Femmes in Paris entscheidend mitgeprägt und diverse Lehrstühle besetzt.

Derzeit unterrichtet sie die Fächer „Regie“ und „Frauen in Film“ an der University of Central Florida, USA.

Die Machtfrage in Beziehungen

„Wie gehen zwei Leute miteinander um, die wirklich offen miteinander sprechen?“ oder „Wie bestreitet man den Alltag in Beziehungen?“ – das sind Fragen, die sich Stöckl in ihren Filmen stellt. Stöckl wird nicht müde, krude Anordnungen im Zwischenmenschlichen in prominente Stellung zu rücken. In allen Beziehungen, weiß Stöckl, streitet man sich zunächst einmal um die Macht.

Der Abend in der Volksbühne bietet aber vor allem die Gelegenheit, über Frauen vor und hinter der Kamera nachzudenken. Passenderweise eröffnet im Berliner Zeughauskino zeitgleich die Filmreihe „Cinema of Outsiders – Der US-amerikanische Independent-Film 1977-1989“, in der der Film „Variety“ von der US-amerikanischen Filmemacherin Bette Gordons gezeigt wird – eine interessante Koinzidenz.

Filmemacherin Stöckl, die da kerzengerade auf dem roten Samtsessel thront und das beigestellte Wasser gänzlich unberührt lässt, kommt einem derweil näher. Sie sagt Sätze wie „Ich glaube, man kann die Trommel gar nicht genug rühren für das, was man liebt“ oder „Auch wenn man Mist denken muss, bleibt es ja Mist“ – die leidenschaftliche Persönlichkeit Stöckls kommt deutlich rüber.

Sie berichtet von ihrer Suche nach einem weiblichen Vorbild, das sie letztlich in der griechischem Mythologie in Form der Zauberin Kirke („Denn die konnte ja alles!“) fand. Im näheren Umfeld jedenfalls stieß sie auf keines. „Die Mütter waren es nicht, das war ganz klar. ‚Genieße froh, was dir beschieden, entbehre gern, was du nicht hast‘, sagte meine immer. Das ist ja fürchterlich!“

Von sich selbst sagt Stöckl: „Ich bin halt eine Anarchistin, da kommt man nicht dran vorbei.“ Aber auch Prinzessin, wie sie etwas kryptisch selbst diagnostiziert. Und irgendwie aber auch Königin – mit dem Herrschaftsgebiet Film. CAROLIN WEIDNER