GIVE-AWAY-TERROR BEI DER FILMPREISVERLEIHUNG UND MÜNCHEN-DEKONSTRUKTION IM BIERGARTEN AM NEUEN SEE
: Auf jedes Cabrio kommt ein echter Berliner mit Töle und Familie

VON JENNI ZYLKA

Da das Schnorren zumindest im orthodoxen Judentum tatsächlich gern gesehen wird, weil es die Barmherzigkeit des Gebenden fordert, braucht man sich vielleicht auch gar nicht dafür zu schämen, gleich zwei Give-away-Tüten von der Filmpreisverleihung am Freitag unter dem Mantel nach Hause getragen zu haben. Barmherzig hat die Akademie somit dank Hightech-Kosmetikproben für doppelt so wenig Falten gesorgt; und kalt ist einem auch nie mehr wegen der beiden Schals, an denen noch das Preisschild hängt, was sie sympathischerweise wie ein Oma-Geschenk aussehen lässt, die vergessen ja auch immer, die Schilder abzumachen.

Am nächsten Tag also einen Schal um den schweren Kopf gezurrt, einen um den neuerdings glatten Hals und ab gehts ins grillkohleverseuchte Braungrüne, überflüssige Wetterkommentare sammeln: „Für mich kann es ja gar nicht heiß genug sein!“, „Endlich Sommer!“, „Ich brauche das so, diese Wärme!“, „Ist das toll, dass man wieder Fahrradfahren kann!“, „Wie im Urlaub“, gefolgt von diversen ausgeschmückten Horrorszenarien vom stundenlangen Braten am Strand, während dem man landläufig anscheinend am liebsten „gar nichts“ tut, außer die Epidermis für immer schädigen (siehe Anti-Aging). Aber das sind bestimmt auch die Leute, die gerne in Saunas schwitzen.

Dabei sind Saunas einzig und allein wegen des Nacktfaktors interessant, der allerdings in Berlin ziemlich mau ausfällt, denn wen beflügelt es schon, zopftragenden Kennick-weeßick-warickschon-Typen aus Marienfelde oder kicherigen Frauensektkränzchen mit Einhorntattoos unter die schweißigen Hautfalten zu lugen, die Samstagabend bestimmt auch zur esoterischen Nena in die O2-World gehen? Und dort von „heut komm ich, heut geh ich auch“ über „ich leih mir deine Flügel / wir sind wahr“ bis „denn die Liebe ist geblieben / hat nicht gefragt, ist einfach da“ jedes Liebesgeseiere mitzusingen wissen? Wann macht denn Xavier Naidoo eigentlich endlich ein spirituell-esoterisch-omnikitschiges Duett mit Frau Kerner, das dann bei jedem Klammerblues-Interludium in der Großraumdisco auf Malle aufgelegt werden kann? „Ich kenne nichts (das so schön ist wie du) / Ich hab dich überall gesucht / es ist so schön, dass es dich gibt“?

„Schöööön!“, sagte übrigens auch Billy Gilbert, als er im Nachspann von „Väter der Klamotte“ Spaghetti auf den Kopf geschüttet bekam. Kennt Nena garantiert noch, Xavier eher nicht. Sonntagnachmittag geht es kurz nach Little München, Böötchen fahren, und dort, im Café am Neuen See, freut man sich dann wieder über jene unprätentiösen und dauergewellten Eingeborenen, die den Münchenfaktor des Areals so herrlich runterdrücken: Auf jede Designersonnenbrille, auf jede Tube Haargel, auf jeden Cabrio kommt ein echter Berliner mit Töle und Familie, der im Nachbarboot liegt, mit der nackten, schwieligen Mauke winkt und „Großmutter, warum hast du so große Füße?“ ruft. So etwas würde am Starnberger See, oder wie das da unten heißt, bestimmt nicht passieren, da trifft man höchstens Guilia Siegel beim Herumbusseln mit echten Prinzen.

Am Sonntagabend gehört Vati dann wieder uns, und, alarmiert durch die letzte Bohrinselkatastrophe, fragt man sich, was denn Bohrinselbewohner überhaupt gucken dürfen, wenn in jedem DVD-Vorspann auf das Verbot der Aufführung auf Bohrinseln hingewiesen wird? Dürfen die sich denn gar niemals entspannen, und ein bisschen im aktuellen Kinoprogramm gucken? Schwule Liebesfilme genießen? Wahrscheinlich liest man dort tatsächlich noch echte, wasserdichte Bücher.