PRESS-SCHLAG
: Ein Absturz in angemessene Gefilde

KRISE IM KARNEVALSKLUB Der FSV Mainz 05 droht an seine Grenzen zu stoßen beim Versuch, die Geschichte doch zu wiederholen

In Mainz wurde aus limitierten wirtschaftlichen Möglichkeiten das Optimale gemacht

Geschichte wiederholt sich zwar – aber nicht notgedrungen. Und erst recht nicht in Mainz. Als der örtliche Fußball-Bundesligist nach den ersten drei Spielen dieser Saison mit drei Siegen auf Platz vier stand, hofften viele Fans auf einen Auftakt wie vor drei Jahren. Damals konnte der FSV Mainz 05 mit sieben Siegen in den ersten sieben Spielen einen neuen Startrekord aufstellen, am Ende stand der sensationelle Tabellenplatz fünf. Doch statt die Geschichte zu wiederholen, kassierte der selbsternannte Karnevalsklub zuletzt – inklusive Pokal-Aus gegen Köln – fünf Niederlagen in Folge.

Das liegt vor allem an der Offensive. 2010 konnten die von der Presse als „Bruchwegboys“ gefeierten André Schürrle, Lewis Holtby und Adam Szalai aufgrund ihrer individuellen Klasse den Verlust von Torjäger Aristide Bancé weit mehr als nur kompensieren. Ihren Nachfolgern Dani Schahin, Shinji Okazaki und Sebastian Polter scheint es dagegen nicht zu gelingen, den von Trainer Thomas Tuchel befürworteten Abgang von Spielmacher Andreas Ivanschitz und den Wechsel von Torjäger Szalai zu Schalke auszugleichen. Von sieben Neuen hat bisher nur der defensive Mittelfeldmann Johannes Geis überzeugt.

Zudem profitierten die 05er bei ihren drei Auftaktsiegen gegen Stuttgart (3:2), in Freiburg (2:1) und gegen Wolfsburg (2:0) davon, dass diese Gegner mitspielten, was besondere dem schnellen Nationalspieler Nicolai Müller zugutekam. Das Spiel selbst zu machen aber überfordert die Mainzer, dazu fehlt ihnen Qualität im offensiven Mittelfeld. Der Beweis: nur drei Tore in den letzten fünf Pflichtspielen. Dass Tuchel zuletzt die schon ausgemusterten Malik Fathi und Petar Sliskovic einsetzte, zeigt, dass sich der Verein keine Fehleinkäufe leisten kann. Vor allem auf der Innenverteidigerposition herrscht Mangel, weil sowohl bei Niko Bungert als auch beim ebenso fehlenden Bo Svensson gesundheitliche Rückschläge erwartbar waren.

Doch die Mainzer können es sich nun einmal nicht leisten, jene Profis zu halten, die sich bei ihnen zu herausragenden Bundesligaspielern entwickeln. Ein Aderlass, mit dem alle kleinen Klubs zu leben lernen müssen. Und der FSV war ein gelehriger Schüler: Dass man in den vier vergangenen Jahren unter Tuchel insgesamt gesehen das sechstbeste Team der Bundesliga war, zeigt, dass in Mainz aus limitierten wirtschaftlichen Möglichkeiten das Optimale gemacht wurde. Selbst nach dem aktuellen Absturz auf Platz zwölf steht der FSV immer noch besser da, als es der Klub eigentlich dürfte angesichts der Etattabelle. Denn dort steht der wirtschaftlich gesunde Verein mit einer Gehaltssumme von 26 Millionen Euro nur auf dem 15. Platz in der Bundesliga. Weniger zahlt nur die Konkurrenz in Nürnberg, Freiburg und Braunschweig ihren Profis. Manager Christian Heidel, der im vergangenen Geschäftsjahr 8,3 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete, sagt:, „Ich steige lieber sportlich als wirtschaftlich ab.“

Nun scheint aber nicht nur der überehrgeizige Thomas Tuchel, der trotz eines Vertrages bis Juni 2015 nach dieser Saison gehen könnte, an die sportlichen Grenzen der Mannschaft gestoßen zu sein, sondern der Verein an seine strukturellen. Immerhin können die auf Kontinuität setzenden Klubverantwortlichen noch in Ruhe arbeiten, weil die Medien in Mainz traditionell eher zurückhaltend agieren. Noch grassiert keine Abstiegsangst in Mainz – und diese Ruhe könnte dabei helfen, dass nicht nur der Abstieg vermieden wird, sondern sich die Geschichte womöglich doch noch wiederholt.

JÜRGEN HEIDE