piwik no script img

Die beste Technik

Seit man digital drehen kann, prosperiert der philippinische Film

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

„Maximo Oliveros blüht auf“ ist ein Film, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. Er handelt von einem schwulen Jungen aus einem Ghetto von Manila, der sich in einen Polizisten verliebt. In den Philippinen, dem einzigen katholischen Land Asiens, würde sich normalerweise kein Filmstudio an den Stoff wagen.

Der Regisseur Auraeus Solito hat es trotzdem geschafft, diesen Film zu machen, indem er ihn selbst produzierte, und das so billig wie möglich. Er drehte nur in einer einzigen Straße, seine Mutter kochte für das ganze Team, sein Freundeskreis half bei den Dreharbeiten. Und vor allem drehte er nicht auf 35-Millimeter-Material, sondern mit einer digitalen High-Definition-Kamera. Gesamtkosten des Film: 900.000 Peso (15.000 Euro). Der fertige „Maximo Oliveros“ wurde nicht nur zum Sundance Film Festival und zur Berlinale eingeladen, wo er im Februar einen Teddy und einen Zuschauerpreis des Kinderfilm-Festivals gewann. Er war auch in den Philippinen bei Kritik und Publikum erfolgreich.

Spätestens seit diesem Durchbruch gilt digitales Kino als die Hoffnung der philippinischen Filmindustrie, die sich seit mehr als zehn Jahren in einer Dauerkrise befindet. Waren in den 70er- und 80er-Jahren Regisseure wie Lino Brocka oder Ishmael Bernal mit ihren Produktionen regelmäßig bei internationalen Filmfestivals vertreten, ist seit Anfang der 90er-Jahre die Zahl der Filmproduktionen stark zurückgegangen.

Dabei konnten sich die Filmindustrie der Philippinen in ihren goldenen Jahren in Asien mit dem indischen Bollywood messen. Bis zu 300 Filme wurden in den 50er- und 60er-Jahren jährlich produziert. Philippinische Regisseure, Kameramänner und andere Filmarbeiter waren wegen ihrer guten Ausbildung in ganz Südostasien gefragt. Noch vor zehn Jahren produzierte die lokale Filmindustrie bis zu 200 Spielfilme pro Jahr. Doch ein sich wandelnder Publikumsgeschmack und aggressiv auftretende amerikanische Filmunternehmen haben das heimische Kino Zuschauer gekostet.

Die schlechte Wirtschaftslage hat die Zahl der Kinobesucher stetig zurückgehen lassen, und diejenigen, die es sich noch leisten können, ins Kino zu gehen, entscheiden sich immer öfter für amerikanische Filme. Mit deren production values kann das lokale Kino nicht mithalten. Die philippinischen Filmstudios versuchen darum, mit ihren Produktionen auf Nummer Sicher zu gehen, und machen Filme, ohne Risiken einzugehen. Doch die immer gleichen Melodramen, leichten Liebeskomödien und Fantasy-Filme, die in der Vergangenheit Erfolg garantierten, interessieren immer weniger Zuschauer. 2004 kamen nur noch 52 philippinische Spielfilme ins Kino.

2005 waren es sogar nur noch 50 auf Film gedrehte und 24 digitale Filme, die zum Teil bei Festivals, zum Teil aber auch im regulären Spielbetrieb im Kino gezeigt wurden. Einige von ihnen wie „Maximo Oliveros“ oder die an „Pulp Fiction“ erinnernde Kriminalkomödie „Big Time“ liefen sogar mehrere Wochen – auf den Philippinen, in denen die meisten Filme nach einer Woche Laufzeit schon wieder aus den Kinos verschwunden sind, eine kleine Sensation.

„Drehen ist so viel einfacher. Wir können überall hin gehen. Wir brauchen nur eine kleine Crew. Und darum hat man viel mehr kreative Kontrolle“, sagt Amable Aguiluz, der 2003 mit „www.xxx.com“ einen der ersten digitalen Mainstream-Filme drehte. Anders als zum Beispiel den Filmemacher der Dogma-Gruppe geht es den philippinischen Regisseuren nicht um formale Fragen. Mit digitalem Video wird aus schierem Pragmatismus gearbeitet. Amable Aguiluz: „Für Filmemacher in der Dritten Welt ist es einfach die beste Technik.“

Bei einem Film, der in digitalem Format gedreht wird, betragen die Produktionskosten nur einen Bruchteil der etwa neun Millionen Peso (knapp 150.000 Euro), die eine durchschnittliche Filmproduktion kostet. Und beim Vertrieb rechnet sich die digitale Produktion erst richtig. Die Verleiher können ihre Filme für wenig Geld auf DVD brennen und vertreiben, statt teure Kopien zu ziehen.

Denn immer mehr Kinos haben neben dem Projektor für 35 Millimeter auch Beamer für digitale Filme stehen. Deren Helligkeit und Bildqualität ist zwar der herkömmlicher Filmprojektoren weit unterlegen: Bei „Maximo Oliveros“, bei dem lange Passagen im Halbdunkel spielen, sind Teile des Films schwer zu erkennen. Aber das philippinische Publikum scheint die geringere Bildqualität als Preis dafür zu akzeptieren, dass ihm endlich wieder originelle Filme geboten werden.

Schon seit Ende der 90er-Jahre arbeiten Avantgarde-Filmemacher wie Khavn de la Cruz oder Lav Diaz mit digitalem Video – Letzterer hätte sein Opus magnum „Evolution Of A Filipino Family“ (2004) wohl anders nie produzieren können. Aber da es auf den Philippinen keine Arthouse-Kinos gibt, sind ihre Filme so gut wie nie zu sehen. Sie werden fast ausschließlich auf ausländischen Festivals gezeigt.

So war es der Regisseur Cris Pablo, dessen digital gedrehter Film „Duda“ 2003 als erster in Mainstream-Kinos zu sehen war. Dafür musste der Regisseur nicht nur beim Kinobesitzer antichambrieren, sondern auch den Projektor selbst besorgen. Pablo hat inzwischen zwei weitere, erfolgreiche Filme gemacht.

Unterstützt von den beiden Filmfestivals Cinemalaya und Cinema One dreht nun eine ganze, junge Generation von Filmemachern mit Digitalkameras. Inzwischen gilt es unter Regisseuren geradezu als Statussymbol, digital zu drehen. Und auch etablierte Regisseure wie Raymond Red, Eddie Romero, Marilou Diaz-Abaya und Laurice Guillen haben in den letzten Wochen digitale Produktionen angekündigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen