Die kleine Wortkunde

In Geografie macht Joachim Gauck keiner was vor: „Deutschland ist keine Insel“, stellte er am Tag der Deutschen Einheit korrekt fest. Ebenso plausibel wie dieser Fakt war für den Bundespräsidenten daher, dass sich die Deutschen nicht als Insulaner gerieren und aus allen weltpolitischen Konflikten raushalten dürfen: „Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen.“

Das Wort Insel (vollständig ein von Wasser umgebenes Stück Land) entstand aus dem mittelhochdeutschen „insele“, dessen althochdeutscher Vorgänger „isila“ (gleiche Wortbedeutung) seit dem neunten Jahrhundert belegt ist. Ursprung des Wortes ist das lateinische „insula“ (also von Wasser umgebenes Land).

Wird sind also keine Insel im politischen Weltgeschehen. Gauck vergaß jedoch zu erwähnen, was wir dann sind. Der Gegensatz einer Insel ist das „Festland“, ein Determinativkompositum aus „fest“ (hart, dicht, dauerhaft, kräftig) und „Land“ (Erdboden, Grundstück, Staat). Wir sollen also ein hartes, dauerhaftes und beständiges Land sein und historische Kontinuitäten pflegen. Und was ist beständiger und härter als die deutsche Tradition, eine große Militärmacht zu sein? Logisch, dass das Festland zu seinen Wurzeln zurückmuss. Warum nur hat Gauck das Wort „Insel“ in einem negativen Sinne gebraucht? Die Insel war in früheren Zeiten – zum Beispiel für den humanistischen Autor Thomas Morus – der Ort der Utopie, der Ort, an dem die Dinge zur Abwechslung mal anders laufen könnten als im restlichen Abendland. Dieses Schicksal scheint Deutschland nicht vergönnt zu sein. WENK