Scharfe Schüsse in Kathmandu

Um Nepals Hauptstadt trotzen Hunderttausende der vom Regime des Königs verhängten Ausgangssperre, die Militär und Polizei durchzusetzen versuchen. Wieder gibt es Tote und Verletzte. Indiens Sonderbotschafter kündigt Erklärung des Königs an

AUS KATHMANDUROLF SCHMELZER

115.000 Demonstranten sind am gestrigen Nachmittag allein auf Kathmandus Ringstraße unterwegs, heißt es nach Polizeiangaben. Die Straße markiert die Zone, innerhalb derer die von 2 Uhr morgens bis 20 Uhr abends verhängte absolute Ausgangssperre gilt. Damit will König Gyanendra die seit inzwischen 15 Tagen anhaltenden Proteste gegen seine absolute Herrschaft abwürgen. Doch die Bevölkerung widersetzt sich mutig und friedlich. Dabei dürfen Polizei und Militär jeden erschießen, der gegen die Ausgangssperre verstößt.

Weitere 100.000 Menschen sind außerhalb der Ringstraße unterwegs und werden daran gehindert, weiter in Richtung Narayanhiti-Königspalast vorzudringen. Manche Schätzungen gehen von insgesamt 250.000 Demonstranten im gesamten Tal von Kathmandu aus.

Auch im östlichen Stadtteil Chabahil gibt es große Menschenansammlungen. Etwa zwei Kilometer von der Ringstraße entfernt setzen Polizei und Militär Gummigeschosse, aber auch scharfe Munition gegen die mindestens 10.000-köpfige Menge ein. Sie schießen in die Luft, aber auch gezielt in die Menge, die dann jedes Mal wütend aufschreit. Von überall her sind Schüsse, Maschinengewehrsalven und Krankenwagensirenen zu hören. Bis gestern Nachmittag soll es nach Angaben von Ärzten drei Tote und Dutzende Verletzte gegeben haben. Bereits in den vergangenen Protesttagen waren landesweit mindestens zehn Menschen erschossen worden.

Die Läden sind geschlossen. Kein Auto, Bus, Moped oder Fahrrad ist unterwegs. Über Kilometer liegen Ziegelsteine oder Betonteile auf den Straßen, die jeden Fahrzeugverkehr verhindern. Die Regierung hat Journalisten und Diplomaten anders als an früheren Tagen keine Sonderausweise gegeben, die ihnen erlauben, während der Ausgangssperre auf die Straße zu gehen.

Aus Kalanki am westlichen Stadtrand berichtet Kunjan Aryal von einer Menschenrechtsgruppe: „Unsere freiwilligen Helfer haben zwei verletzte Demonstranten versorgt. Wir hören aus allen Ecken, dass Verwundete warten, medizinisch versorgt zu werden.“

Seit Beginn des Generalstreiks am 6. April ist Nepal fast komplett lahm gelegt. Die in dem Himalajastaat entstandene Massenbewegung bringt den Königsthron ins Wanken. „Diesmal muss die Demokratiebewegung weiter gehen als 1990“, meint der Demonstrant Madhusudhan Pandey, „Dabei spielen die Leute hier in Kathmandu heute die wichtigste Rolle.“

Anfang April 1990 hatte König Birendra schließlich einer starken Volksbewegung, die eine Mehrparteien-Demokratie forderte, nachgeben müssen. Zuvor hatte es mehrere hundert Toten an einem Tag gegeben. Birendra musste sich auf eine Rolle als repräsentativer Monarch zurückziehen. Heute trägt den Generalstreik gegen seinen Nachfolger ein Bündnis aus sieben Oppositionsparteien. Sie werden von den maoistischen Rebellen mit einer Waffenruhe im Kathmandutal unterstützt.

Das Regime des seit Februar 2005 absolutistisch regierenden Gyanendra wehrt sich mit diktatorischer Macht. Militär und Polizei schießen scharf und verprügeln friedlich demonstrierende Bürger und seit ein paar Tagen auch einige demonstrierende Touristen. Bislang gab es tausende Festnahmen aufgrund umstrittener Antiterrorgesetze. Die Versorgung mit Treib- und Brennstoff ist wegen des Streiks stark eingeschränkt. Preise für Grundnahrungsmittel sind um bis zu 400 Prozent gestiegen.

„Lok Tantra“ – echte Demokratie ist das immer mutiger ausgerufene Ziel – ohne König. Laut Umfrage der Nepali Times verurteilen 65 Prozent der Bevölkerung Gyanendras Alleinherrschaft. Er war durch das noch nicht endgültig geklärte Palastmassaker vom 1. Juni 2001 zum Herrscher geworden. Seitdem hat er fast alles falsch gemacht: Parlament aufgelöst, Regierung an sich gerissen und alle Empfehlungen internationaler Diplomaten ausgeschlagen.

Der von Indien entsandte Sonderbotschafter Karan Singh kündigte noch für gestern eine Erklärung des Königs an. Will Gyanendra durch Einsetzung eines Premierministers seinen Thron retten?