: Zwischen Panik und Profit
NACHWENDEDRAMA „Für alle reicht es nicht“ von Dirk Laucke läuft in Theatern in Dresden und Berlin
Strawberry fields forever? Ein Landstrich nahe der tschechischen Grenze. Menschen gehen weg, Wölfe kommen. Hier war mal ein Erdbeerfeld, doch aus den blühenden Landschaften ist Brachland geworden – Traumland für den ehemaligen NVA-Offizier Heiner, der hier eine Panzerfahrbahn aufbauen will. Einen T55 hat er schon. Nur fehlt ihm der Plan zu seiner Vision. Ähnlich ist es um die anderen Figuren in Dirk Lauckes Nach-Wende-Drama „Für alle reicht es nicht“ bestellt, das jetzt am Deutschen Theater Berlin zweitaufgeführt wurde. Seit letztem September wird die Geschichte über die Schrammen, die der Systemwechsel in den Biografien hinterlassen hat, schon in Dresden gespielt.
Der 27-jährige Autor, in Halle aufgewachsen, schaut in seinem Stück mit viel Sympathie auf die, die es nicht geschafft haben. Heiners Frau hat mit Tochter Manuela einst in den Westen rübergemacht. Und ausgerechnet jetzt, wo die Tochter ihn besuchen will, müssen Anna und Jo auftauchen, die bei ihrer Zigarettenschmuggel-Tour auf dem Rückweg von Tschechien diesmal einen ganzen Lkw haben mitgehen lassen. Neben Tabak hat der auch noch zwanzig „Chinamenschen“ an Bord, Vietnamesen vielleicht, halbverhungert wahrscheinlich. Soll man sie befreien, an einen Nachtclub verkaufen, zurück nach Tschechien fahren? Zwischen Panik und Profitdenken geht man die Optionen durch.
Wie stets hat Laucke seine Sprache den Leuten in aller Schnoddrigkeit vom Munde abgelauscht und der Sound eines zeitgenössischen Realismus wird hörbar. Gerade das und die offensichtliche gesellschaftliche Relevanz seiner Themen machen ihn attraktiv für die Theater. Aber erschöpft sich das Laucke-Drama tatsächlich in gut getroffener Wirklichkeits-Abschilderung? Von den Erdbeerfeldern über die wiederkehrenden Wölfe bis zu den stumm bleibenden asiatischen Immigranten im Lkw-Gefängnis – dieses Drama ist aufgeladen mit Symbolen. Die Regisseurin Sandra Strunz fügte diesen bei ihrer Dresdener Uraufführung noch ein paar augenfällige hinzu, indem sie Lauckes Loser über eine schräge Sandfläche stolpern ließ. Für Jo und Anna hängte sie Schaukeln in den Schnürboden – die armen Träumer baumeln überm Spielplatz, auf dem alles möglich scheint und ihre Pläne doch im Nichts versanden.
War der Lkw in Dresden bloß eine Klappe im Boden, ragt in die kleine Box-Bühne des Deutschen Theaters ein echtes Lkw-Hinterteil hinein. Die Regisseurin Sabine Auf der Heyde entwirft hier eine kleine, kluge Verfertigungs-Studie: Wie geht noch mal Illusion? Zum Beispiel so: Die Schauspieler sitzen am Bühnenrand und kreieren mit wenigen Hilfsmitteln eindringliche Hörspiel-Atmosphäre: Hände planschen im Schlammeimer – im Zuschauer-Kopf watschen Stiefel über eine moddrige Wiese, „schuhu“ macht die Stimme – fertig ist der Waldvogel, später rattert als Panzer ein Mixer vorm Mikro. Die Spielszenen dazwischen sind durch Blacks voneinander getrennt, gleichsam vom Bastel-Charakter umgestellt. Was die Figuren innen drin aber ungleich plastischer, direkter, realitätsnäher ins Licht hält. Denn wo die einzelnen Szenen derart wie unverbundene Puzzleteile nebeneinander stehen, kann jede für sich wirken, ohne dass sich negativ ins Bewusstsein schiebt, dass Lauckes Stück zur Mauerfall-Jubiläums-Stunde auch auf paradigmatische Konstellationen und große Symbole hin konstruiert ist.
Die Figuren sind damit allesamt als exemplarische ausgestellt: die Ostlerin, die sich bei der Flucht mit den Eltern das Bein verletzt hat und seitdem gehbehindert ist, der gescheiterte Wessi, der sein Glück im Osten suchen geht, der Ossi, der sich in einem Stück alter Realität verschanzt.
Die Laucke-Sprache funktioniert auf der Bühne hervorragend, zumindest wenn sie sich solch glänzende Schauspieler auf den Leib ziehen. Dann gewinnt sie beinahe etwas spontan Improvisiertes. Paul Schröder, Katrin Wichmann, Bernd Stempel und Isabel Schosnig, sie alle erspielen ihren Figuren mit größtmöglicher Intensität die Zuschauergemüter und liefern vier berührende Porträts von Nachwende-Verlierern, denen man sogar verzeiht, wenn sie im Selbstmitleid bisweilen unbarmherzig um sich schlagen – solange die Landschaften nicht für alle blühen. ANNE PETER
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