Erpressung mit Erdgas
: KOMMENTAR VON ULRIKE HERRMANN

Der russische Staatskonzern Gazprom hat gestern klargestellt, wer die Macht besitzt. Unverblümt drohte Firmenchef Miller, die Gaslieferungen in die EU einzuschränken, falls Gazprom nicht gestattet werde, europäische Energieunternehmen aufzukaufen. Millers Anliegen ist verständlich: Er will seine Wertschöpfungskette verlängern. Derzeit darf Russland das Gas nur über die Grenze schaffen – aber vom Vertrieb an die Einzelkunden profitieren deutsche oder britische Konzerne.

Doch leider geht es den Russen nicht nur um gute Betriebswirtschaft. Sie haben ihre Energievorräte als neue Waffe entdeckt. Gazprom ist nicht einfach ein Rohstoffkonzern, sondern eine politische Agentur. Dies wurde schon deutlich, als im letzten Winter der unliebsamen ukrainischen Regierung die Gashähne zugedreht wurden. Russland wird immer wieder versuchen, seine politischen Wünsche durchzusetzen, indem es mit einem Energieembargo droht. Schließlich warten andere liquide Kunden auf das russische Gas – vorneweg die Chinesen.

Die weltweiten Energiereserven liegen vor allem in politisch instabilen Regionen. Europas Reaktion ist absehbar: Als würde sich nächste Woche Tschernobyl nicht zum 20. Mal jähren, kommt die Atomkraft wieder ins Gespräch. Probleme mit der Endlagerung? Vergessen. Das Risiko eines GAUs? Eingebildet. Auch die Kohle wirkt nicht mehr dreckig, sondern charmant; das Problem mit den Treibhausgasen wird sich schon irgendwie technisch lösen lassen. Versorgungssicherheit durch schiere Technik – das wird nicht klappen, was niemand besser weiß als Gazprom. Wären Atomreaktoren und Kohleverstromung tatsächlich eine Alternative, würde der Konzern nicht so dreist drohen. So bleibt den Europäern die unbequeme Erkenntnis: Die derzeit ergiebigste Energiequelle ist das Energiesparen.

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