Tschernobyl und die taz-Folgen

Neues Blattkonzept, kenntnisreiche Berichte: Warum die taz 1986 ihre Auflage steigerte

Mit dem Mut der Verzweifelten versuchte die Redaktion im Herbst 1985 dem der taz drohenden Ruin zu entkommen. „Lieber eine bessere taz als gar keine taz“ wurde das Motto eines für die damaligen taz-Verhältnisse revolutionären Relaunches. Mit einer Beispielausgabe im Kleinstformat (Minitaz) als Beilage im Spiegel wurde bekannt gemacht, wie das neue Angebot aussah. Wo zuvor in lockerer Anordnung veröffentlicht wurde, der Reihe nach, was wichtig schien, wurden nun richtige redaktionelle Ressorts eingerichtet, regelmäßige Sport-, Wirtschafts- und Fernsehseiten („Flimmern und Rauschen“) publiziert und sogar eine Art Chefredaktion installiert, der so genannte „Freigestellte“, dem, freigestellt von der Fron des Schichtdienstes, das Entwickeln und Einführen des neuen Konzeptes anheim gestellt war.

Allein was herauskam, wäre vermutlich zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel geblieben. Doch dann kam die Koinzidenz, ein Schicksalsschlag, ohne den die durch die Blattreform angestoßene Auflagensteigerung auf halbem Wege stecken geblieben wäre. Es gab nämlich, kurz vor Tschernobyl, eine Auflagen-Delle nach unten, sie kündete vom Ende des Erfolges. Aber auch andersherum wären die Auswirkungen der Ereignisse auf die taz-Auflage ohne das hinreichende publizistische Konzept langfristig sicher unter den Möglichkeiten geblieben. Die konsequente und kenntnisreiche Berichterstattung über die Auswirkungen des Super-GAUs in Tschernobyl katapultierte die eben fit gemachte Zeitung in eine Auflagenhöhe, auf der sie fortan zumindest publizistisch zum vollwertigen Marktteilnehmer wurde.

Allein die Aboauflage stieg innerhalb der zwei Jahre ab Herbst 1985 von knapp 21.000 um mehr als 75 Prozent auf fast 37.000 im Herbst 1987. Dazu wurden täglich durchschnittlich noch rund 23.000 Exemplare an den Kiosken in der BRD und Westberlin verkauft. Macht zusammen eine Auflage von 60.000 und damit just jene Größenordnung, die seit also nun 20 Jahren das Terrain markiert, das die taz erfolgreich bewirtschaftet. Für eine Nische zu groß, für den Zutritt zur zweiten Säule des Geschäftes, dem Anzeigenmarkt, offenbar immer noch zu klein.

Die Projektionen jedenfalls, dass sich die taz-Auflage dereinst spontan zu einem weiteren solchen Höhenflug aufschwingen könnte, haben hier reichlich Nahrung gefunden. Und das ist auch gut so. Denn sie sind Motiv für die zahlreichen Ansätze konzeptioneller Verbesserungen, die immer wieder von der taz-Redaktion ausgehen und mit denen Mitarbeitende, Lesende und die Konkurrenz konfrontiert werden. Der Sinn des Ganzen soll sein, die taz fit zu halten für jene Momente, in denen sich auch einem größeren Publikum erschließt, dass es sich lohnt, eine Publikation für jenen Journalismus vorzuhalten, der sich nicht täglich hinter affirmativer Contenance versteckt, sondern seinen Lesenden auch mit geringsten Mitteln Aufklärung zumutet.

In dieser Hinsicht dient Ihr taz-Abo nicht nur dem Konsum von Deutschlands aufregendster Tageszeitung, sondern ist auch ein Stück verlegerisches Engagement. ANDREAS BULL

Andreas Bull, 51, ist taz-Geschäftsführer.