Existenz auf Abruf

Allein in Hamburg leben rund 17.000 Flüchtlinge ohne Perspektive auf ein festes Aufenthaltsrecht. Als Geduldete dürfen sie nicht arbeiten und keine eigene Wohnung mieten. Jeden Tag müssen sie mit Abschiebung rechnen. Die über Jahre anhaltende Angst macht viele krank. Drei betroffene Frauen berichten

von Eva Weikert

Die Untätigkeit. Sie ist das Schlimmste. Senami* hatte einmal eine eigene Firma. Das war in Cotonou, der Hauptstadt von Benin, wo Senami geboren ist. Mit Handys und Laptops hat sie gehandelt. Der Laden lief gut, bis Senami Hals über Kopf aus Afrika flüchtete. Zwei Kinder ließ sie zurück. Das war vor zwei Jahren.

Senami lebt heute in Hamburg. Sie mag die Stadt nicht und sehnt sich nach Benin zurück. In Hamburg werde sie von fremden Menschen geduzt. Regelmäßig hielten Polizisten sie auf der Straße an und verlangten ihre Papiere – „weil ich schwarz bin“, sagt die 40-Jährige. Einen Rückzugsort aber hat Senami nicht, denn sie darf keine Wohnung anmieten. Einfach mal wegzufahren ist ihr auch verboten: Senami darf das Territorium des Stadtstaates nicht verlassen. Sich in eine Arbeit flüchten? Ebenfalls untersagt. Denn Senami ist nur eine Geduldete.

So werden im Amtsdeutsch Flüchtlinge ohne Aufenthaltsrecht bezeichnet. Wer eine Duldung hat, gilt als ausreisepflichtig und kann jederzeit abgeschoben werden.

Senami hat Anfang 2004 in Deutschland politisches Asyl verlangt, doch ihr Antrag wurde abgelehnt. Benin habe sie wegen ihrer Freundschaft zu einem Politiker verlassen müssen, sagt sie, der der Wahlmanipulation bezichtigt worden sei. Unschuldig sei sie selbst unter Verdacht der Mittäterschaft geraten und müsse nun in Afrika mit Gefängnis rechnen.

Mit den zehn und zwölf Jahre alten Töchtern hat Senami seit ihrer Flucht nur Kontakt übers Telefon. Jeden zweiten Tag steht sie in einem Call-Shop. Ihr geschiedener Mann kümmere sich um die Mädchen, „die ich nicht groß werden sehe. Das ist hart.“ Gern würde sie ihre einzige Verwandte in Europa besuchen, eine Tante in Frankreich, aber Reisen ist ihr verboten. „Oder ans Meer fahren wäre auch schön.“

Senami geht es wie vielen anderen in Deutschland. Nach Angaben der Organisation Pro Asyl sind bundesweit mindestens 200.000 Menschen nur geduldet, darunter zehntausende Kinder und Jugendliche, die hier aufgewachsen sind.

Allein 17.000 Menschen sitzen in Hamburg auf gepackten Koffern. Ein Grund für die hohe Zahl ist, dass der hier regierende CDU-Senat das Ausländerrecht äußerst streng anwendet: Statt Aufenthalte zu erlauben, scheut er sich nicht, Flüchtlinge jahrzehntelang in dem Wackelstatus hängen zu lassen. Die dauernde Unsicherheit durch die Praxis so genannter Kettenduldungen macht viele Betroffene kaputt.

Senami hängt mit zwei Jahren noch kurz in der Warteschleife. Die Afghanin Zora* etwa versucht schon seit achteinhalb Jahren, vom Senat eine Zusage für einen Daueraufenthalt zu erwirken, und muss inzwischen mitansehen, wie ihr Sohn an der Ungewissheit zu zerbrechen droht.

Der 19-Jährige steht nach einer Gymnasialempfehlung heute ohne Schulabschluss da, „weil er ganz durcheinander ist vor Angst“, sagt seine Mutter. Nach dem Ende des Abschiebestopps vor einem Jahr hat Hamburg mit der Ausweisung allein stehender Männer begonnen. Einige Freunde ihres Sohnes seien schon nach Kabul ausgeflogen worden, berichtet Zora: „Mein Junge liegt viel im Bett, ist apathisch und geht nicht mehr raus.“ Er begreife nicht, warum er, der sein halbes Leben in Hamburg verbracht hat, hier keine Zukunft haben soll. Hinzu komme die Furcht vor religiöser Verfolgung im islamisch dominierten Afghanistan. Denn Zora und ihre Familie sind Hindus.

Gewalterfahrungen in der Heimat und die Last „absoluter Perspektivlosigkeit“ in Deutschland bedrücken auch Fatima*, eine 24-jährige Tschetschenin. Ihr Vater war zuhause ein bekannter Boxer und erfolgreicher Geschäftsmann. Vor fünf Jahren kam Fatima zusammen mit ihren drei Schwestern und ihren Eltern aus der Kaukasusrepublik nach Hamburg. Zwei Kriege hat sie miterlebt.

Die Familie lebt heute in einer öffentlichen Unterkunft im Norden Hamburgs. Der Vater, sagt Fatima, verbringe täglich viele Stunden vor dem Fernseher. Häufig gebe es Streit: „Er macht jeden Tag Stress“, erzählt die junge Frau: „Für meinen Vater ist es unerträglich, nicht arbeiten zu dürfen.“ Wegen Bluthochdrucks und Depressionen sei der 51-Jährige in medizinischer Behandlung.

Fatimas Familie ist arm und muss von Sozialhilfe leben. Erst seit einem Jahr bewohnt sie drei Zimmer, Küche und Bad. Die ersten vier Jahre nach der Flucht mussten sich alle sechs einen Raum teilen, Klo und Küche auf dem Gang. Einen Antrag der Mutter, zwei Stunden täglich als Putzfrau arbeiten zu dürfen, hat die Ausländerbehörde abgelehnt. Ebenso Fatimas Bitte, einen Babysitterjob genehmigt zu bekommen.

Fatimas Familie spricht oft über die Möglichkeit einer Rückkehr nach Tschetschenien. Die Schwestern haben als Geduldete in Deutschland keine Aussicht auf eine Berufsausbildung. Nicht nur der Vater, auch die Mutter war in Grosny als Sekretärin bei den Wasserwerken beruflich fest im Sattel. Das Haus, das sie in der Hauptstadt bewohnten, stand in vornehmer Lage und hatte einen Rosengarten. „Ich habe die Gartenarbeit gehasst“, sagt Fatima, „was war ich dumm.“

Die Heimkehr aber kommt nicht wirklich in Frage, zu groß ist die Angst vor Übergriffen durch russische Militärs: Verwandte wurden erschossen, das Haus durch Bomben zerstört, nur der Keller ist stehen geblieben. Einen Asylantrag hat die Familie hier trotzdem nicht gestellt – aus Furcht, bei einer Absage in Russland vom Geheimdienst drangsaliert zu werden. „Die Russen wissen, wenn einer von uns hier Asyl beantragt“, meint Fatima, „sie mögen das nicht.“

Manche Duldungen gelten gerade einmal eine Woche. Senami, Zora und Fatima müssen alle sechs Monate in der Hamburger Ausländerbehörde vorstellig werden, um eine Verlängerung zu bekommen. Immer habe sie die Angst im Bauch, sagt Fatima: „Ich vergesse nie, dass unsere Abschiebung jederzeit passieren kann.“ Leute, die unangekündigt am frühen Morgen abgeholt oder aus der Ausländerbehörde direkt zum Flughafen verfrachtet wurden, habe sie in Hamburg schon viele gekannt.

*Namen geändert