Kernverschmelzung

„Wendelstein 7-X“ heißt die Anlage, in der in Vorpommern eine neue Form der Energieerzeugung, die Kernfusion, erprobt werden soll

„In 50 Jahren wird uns die Kernfusion mit Strom versorgen, das wird uns seit 30 Jahren versprochen“

AUS GREIFSWALD NICK REIMER

„Das Gute an dieser Technologie ist: Sie ist absolut sicher!“ Rudolf Brakel erforscht Kernfusion am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. Und noch etwas ist für den Physiker absolut sicher: „Die Kernfusion liefert die Energieversorgung der Zukunft.“

Vor 50 Jahren waren sich die Atomforscher schon mal ganz sicher: Die friedliche Nutzung der Kernspaltung sei der Segen der Menschheit – natürlich ein technologisch absolut sicherer Segen. „Das ist doch mit der Kernfusion nicht zu vergleichen“, wehrt Brakel ab. Deren Vorteil sei nämlich, dass schon die minimalste Störung zum Zusammenbruch der Kettenreaktion führt. „Während sich bei Atomunfällen im extremsten Fall – wie in Tschernobyl – Hitze unkontrolliert aufbauen kann, würde es bei einer Störung der Kernfusion zum sofortigen Erkalten kommen.“

Kernfusion ist das Prinzip der Sonne: Atomkerne von Wasserstoff und Helium verschmelzen und geben dabei ungeheure Mengen von Energie ab. Dieses Vorbild wollen sich Forscher wie Brakel zu Eigen machen. Das Potenzial ist fantastisch. 1 Gramm Wasserstoff gibt etwa dieselbe Menge Energie frei wie die Verbrennung von 8 Tonnen Erdöl. Oder 11 Tonnen Kohle.

Die Wasserstoffbombe nutzt das gleiche Prinzip. Unkontrolliert freigesetzt, zerstört die gigantische Energiemenge dutzendfach brutaler als eine Atombombe. Der Schlüssel zur friedlichen Nutzung ist also das kontrollierte Freisetzen der Energie. Das aber setzt eine komplizierte Technologie voraus – an der nun schon seit 30 Jahren gearbeitet wird. „Um das Fusionsfeuer kontrolliert zu zünden, muss ein Wasserstoffplasma in Magnetfeldern eingeschlossen und auf Temperaturen über 100 Millionen Grad aufgeheizt werden“, erklärt Brakel.

Was Wissenschaftler und Energiefachleute besonders begeistert: Deuterium und Lithium – die für den Fusionsprozess nötigen Grundstoffe – sind auf der ganzen Welt verteilt in ungeheuren Mengen vorhanden. „Rohstoff-Preissteigerungen wie beim Öl wird es nicht geben“, prophezeit Brakel. Sicher sei die Kernfusion auch, weil weder Deuterium und Lithium noch das Reaktionsprodukt Helium radioaktiv sind. Nur das Zwischenprodukt Tritium strahlt. „Aber das hat ja nur eine Halbwertszeit von 12,6 Jahren“, beruhigt Brakel.

Die Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission teilt Brakels positive Einschätzung: „Auf lange Sicht bietet die Kernfusion die Option für eine in großem Maßstab verfügbare Energiequelle, die geringe Auswirkungen auf die Umwelt hat, sicher ist und über große und weit verbreitete Brennstoffreserven verfügt.“ Entsprechend aufwändig wird an der Technologie geforscht.

Zum Beispiel in Greifswald: „Wendelstein 7-X“ heißt die Fusionsanlage, die hier in einer riesigen Halle gebaut wird und bis 2011 fertig sein soll. Allerdings ist die Anlage allenfalls eine Vorstufe. Hier wollen die Forscher prüfen, ob ihre gewundene Bauweise tatsächlich in der Lage ist, das notwendige Plasma zu erzeugen und stabil zu halten. Fünfzig supraleitende Magnetspulen sollen ein Magnetfeld erzeugen, das das eingeschlossene Plasma „schweben“ lässt, damit es nicht mit der Reaktorwand in Berührung kommt. Den gesamten Spulenkranz umschließt eine wärmeisolierende Außenhülle von 16 Metern Durchmesser. Schließlich soll die Anlage einmal bis zu 133,7 Millionen Grad Celsius vertragen können. Über 1 Milliarde Euro sind für das Projekt veranschlagt, finanziert durch die EU, den Bund und das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Schon seit Jahrzehnten werden Milliarden in die Erforschung der zivilen Nutzung der Kernfusion gesteckt. Im britischen Culham etwa wird eine andere Fusionstechnologie – Typ Tokamak – getestet. Das Projekt ist derzeit die weltweit größte Fusionsanlage. Noch. Denn im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache entsteht für 10 Milliarden Euro der Fusionsreaktor Iter. Wenn alles klappt, wäre das der erste Testreaktor, der netto mehr Energie liefert, als er zum Betrieb benötigt. Mit Hilfe der hier gewonnenen Erkenntnisse soll anschließend ein Demonstrationsreaktor gebaut werden.

„In 50 Jahren wird uns die Kernfusion mit Strom versorgen – das wird uns nun schon seit 30 Jahren versprochen“, kritisiert Johannes Lackmann, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien. Der Preis für Fusionsstrom werde mit 20 Cent je Kilowattstunde kalkuliert. Aber „Wind- und Wasserkraft liegen heute bei circa 8 Cent, Biomasse bei 15 Cent“, so Lackmann. Energiepolitisch sinnvoller sei es daher, die prognostizierten Forschungskosten von 100 Milliarden Euro in Forschung und Ausbau der erneuerbaren Energien zu stecken.

Das sehen andere Kritiker genauso. SPD-Staatssekretär Ulrich Kasparick geht etwa auf das Klima-Argument der Fusions-Fans ein: „Kernfusion kommt als energiepolitische Option zu spät. Die entscheidenden Weichenstellungen erfolgen in den nächsten 10 bis 20 Jahren.“ Die beste Kernfusion liefert immer noch die Sonne – und die sollte man nutzen, so das Fazit der Fusionskritiker.