Die Philosophie des Feuers

Den Science-Fiction-Klassiker „Fahrenheit 451“ zeigt Markus Lüpertz in der Bundeskunsthalle Bonn als elektronisch untermalte Oper. Die Geschichte um die Kraft der Bücher in einem zukünftigen Terrorstaat gewinnt durch die Musik nur wenig hinzu

AUS BONN FRIEDER REININGHAUS

Papier ist ein besonderer Stoff. Es ist dünn und glatt. In kleinen Mengen sind die Blätter leicht, in geballter Ladung gewichtig und womöglich gefährlich. Vielfältig ist das Papier zu nutzen oder zu missbrauchen. Es ist verletzlich und kann verletzen – und nicht nur mit seinen scharfen Kanten. Papier gehört zu den Errungenschaften, die der Menschheit zum Segen gereichen – und ebenso knisternd zum Fluch. Und bei 232° C fängt es an zu brennen.

Diese Temperatur wird in Nordamerika mit 451° Fahrenheit angegeben. Der 1954 erschienene Science-Fiction-Roman von Ray Bradbury (längst ein „Klassiker“ des Genres) geht davon aus, dass in einem künftigen Wohlfahrtsstaat nicht nur kritische Fragen unerwünscht sind und tödliche Folgen haben, sondern auch die Bereitstellung und Lektüre von Büchern und Zeitschriften verboten ist. Alles Gedruckte wird von der massiv aufgerüsteten Brandwehr aufgespürt, gegebenenfalls mitsamt den Eigenheimen der Besitzer oder Nutzer abgefackelt.

Die Idee, ausgerechnet die Feuerwehr mit dem Terror gegen das Papier, seine Freundinnen und Liebhaber zu beauftragen, war Bradburys dialektischer Geniestreich – er verweist bis heute darauf, dass Institutionen, die in wohltätigen Absichten konzipiert werden und zunächst auch überwiegend segensreich wirken, „umkippen“, ihre Mitarbeiter zu Handlangern monopolistischer oder totalitärer Herrschaft werden können. An der gut funktionierende Rezeption des Romans knüpfte der Komponist Brenton Broadstock an.

Seine 1992 im Auftrag der Sidney Metropolitan Opera geschriebene Arbeit kam jetzt neu aufbereitet bei „Bonn Chance“ in der Bundeskunsthalle heraus. Broadstocks Adaption sparte das traditionelle Opernorchester aus. Den zum schlichten Substrat zusammengekürzten Text versah er mit einer elektronischen Ton- und Geräuschspur, aus der Martinshorn und Hundegebell als Versatzstücke einer „musique concrète“ herausragen und der Vokalpartien zugesellt wurden, die wohl absichtsvoll auf jede größere Ambition oder gar Künstlichkeit des Gesangs verzichten.

Markus Lüpertz, Kunstakademie-Direktor in Düsseldorf, hat die Opern-Adaption von „Fahrenheit 451“ ausgestattet: vor den von ihm mit rasch hingeworfener Lineatur bedachten Gardinen, in der Menschenbildnisse zu erkennen sind, gehen eine Handvoll jener Brandwächter in Stellung, die dem gedruckten Wort auf den Fersen sind. Ihre Arbeitskluft und Helme erinnern halb an die Playmobil-Männchen, halb an die Grenzschutztruppen der DDR. Subkommandant Beatty und sein Untergebener Montag schälen sich als Protagonist heraus beim Ausräuchern einer Dame, die den Tod bei ihren Büchern der Verhaftung und Internierung vorzieht. Dieser „Freitod“ macht Guy Montag nachdenklich. Erst recht der Kontakt zu einem Nachbarmädchen, das von Beatty erstickt wird, weil „sie nicht wissen wollte, wie man etwas macht, sondern warum“.

Während der einfache Feuerwehrmann abtrünnig wird und heimlich zu lesen beginnt (deswegen dann auch von seiner fernsehgeilen Frau denunziert wird), redet sich der Vorgesetzte in Rage: er entwickelt seine Philosophie des Feuers und dessen reinigender Kraft. Er scheint dafür bei Richard Wagner und Adolf Hitler in die Schule gegangen zu sein.

In gewisser Weise erfährt Broadstocks Kammeroper zu viel Happy End: Gewiss, der zur Redlichkeit erwachende Montag wird von den eigenen Leuten zur Strecke gebracht – in Bonn lässt es der Regisseur Ralph Goertz die Pappkameraden von Lüpertz wie einst beim Kasperletheater besorgen; aber er landet in einer auch harmonisch besseren Welt, in der die vorangegangene Quirligkeit der Musik einer altbewährten Getragenheit wich. Das Sänger-Team um Emanuel Pichler und James McLean ist nicht zu beneiden: es muss die wenig sangbaren Partien gegen den Maschinen-Sound setzen und kommt erst in der lichten anderen Welt und den in dieser dominierenden Frauenstimmen zum Zug.

Der „Fahrenheit“-Roman gehört zu den faszinierenden literarischen Dokumenten der 50er Jahre. Durch die Musik von Broadstock gewinnt er wenig hinzu, verliert aber viel. Vielleicht sollte man den Abend nutzen und das Buch lesen, statt in die Bundeskunsthalle zur klangvollen Aufbereitung zu gehen.

25. und 26. April, Kunsthalle Bonn