Die Bratwurst AG

Wo sind denn die Sozialschmarotzer? Arbeitslose erledigen freiwillig die miesesten Jobs

Den Grill trägt er auf seinen Schultern, vor ihm quietschen die Straßenbahnen

„Jetzt fängt das schöne Frühjahr an“, heißt es in einem Frühlingslied, Regionalzeitungen drucken Johann W. Goethes „Osterspaziergang“, und da nun auch Wiesen und Wege vom Eise befreit sind, liegt der Geruch des gesamten in der kalten Jahreszeit konservierten Hundekots in der Luft. Ein häufiges Bild sind Passanten, die ihre Schuhsohlen und Hosenbeine prüfen oder am eigenen Nachwuchs schnuppern – aus Sorge, der Duft könne von ihnen ausgehen.

Am Morgen sind die städtischen Grünflächen menschenleer und sonnenüberflutet, weit und breit sind keine Sozialbetrüger auszumachen, obwohl Dutzende wieder aufgestellter Parkbänke zum Verweilen einladen. An einer Weggabelung sitzen sechs 1-Euro-Jobber in ihrem Kleinbus; wer die ganze Scheiße des Winters wegräumen muss, braucht auch mal eine Frühstückspause im engsten Kollegenkreis.

Des Öfteren und vor allem dann, wenn die warme Jahreszeit schon weiter fortgeschritten ist, kann man vorm Leipziger Hauptbahnhof einen Bratwurstverkäufer beobachten. Den Grill trägt er auf seinen Schultern, vor ihm quietschen die Straßenbahnen, hinter ihm dröhnen die Motoren, der schwere Bohrer der Citytunnel-Baustelle und Millionen Presslufthämmer lassen die Luft vibrieren, die Sonne brennt, und der Grill drückt ihm die Hitze ins Gesicht. Damit auch wirklich keine Wärme entweichen kann, ist daran passgenau bis auf Brusthöhe eine Plexiglasscheibe befestigt.

So steht er stundenlang, und man möchte gar nicht wissen, ob selbst die elementarsten Bedürfnisse eines Bratwurstverkäufers bei der Konstruktionsplanung des Bauchladengrills Berücksichtigung fanden. Er gibt Würste aus, wechselt Geld und lächelt sogar dabei. Wenn die Würste rar werden, hofft man mitleidig, er könne den Grill für heute endlich zusammenklappen. Aber, nein, er fördert sogleich aus unbekannten Taschen neue zutage.

Einen ähnlichen Anblick bieten jene Straßenmusiker, die an jedem Körperteil ein Instrument befestigt haben und in den Fußgängerzonen deutscher Kleinstädte ihre Brötchen verdienen. Oder der Kaugummi-Kratzer in der Berliner U-Bahn, der mit einem langem Schabestab seiner neu erfundenen Beschäftigung nachgeht. Solche Ein-Mann-Ensembles werden bei aller Belastung ihrer Tätigkeit aber vermutlich noch ein Minimum an Gefallen finden. Um so entwürdigender ist es, die Idee des Bauchladens als Wurstverkäufer zu verbraten.

Immer noch besser als zu Hause zu sitzen, wird mancher einwenden. Das belegen zumindest die 20.000 Arbeitslosen, die sich für die beginnende Saison bereits freiwillig als Erntehelfer gemeldet haben. Für 3 Euro 40 die Stunde heißt es „morgens ab sechs Uhr Spargel stechen, dann sortieren und verkaufen, später zurück aufs Feld zum Erdbeeren pflücken“ (Hannoversche Allgemeine). Und wenn ein Spargel übrig bleibt, wird das vermutlich noch vom Lohn abgezogen, Hauptsache Arbeit und natürlich schönes Haar. Nur stellt sich die Frage, wo die ganzen Betrüger eigentlich sind, die sich auf Kosten der Steuerzahler in der sozialen Hängematte den Regen auf den Bauch fallen lassen. Angesichts der von Journaille und TV angeheizten Kampagne, die in Dieter Hundt bis Franz Müntefering dankbare Sprecher hat, und ihrer Opfer, die sich mit Faulheitsbezichtigungen gegenseitig aufreiben, ist man geneigt, sich zu wünschen, es gebe sie wirklich.

Die 1-Euro-Jobber gehen wieder ans Kackesammeln, und der Grillträger kann mit Stolz behaupten, kein „Sozialschmarotzer“ zu sein. Nur eine Bratwurst hat man ihn noch nie essen sehen, und das ist ja eigentlich auch schon Verrat an den Deutschen. GREGOR MOTHES