: Der Messias will eine Medaille
Die Chinesen küren Timo Boll zum attraktivsten Sportler weltweit, den WM-Titel wollen sie trotzdem selbst gewinnen
BREMEN taz ■ Für die Chinesen ist Timo Boll der attraktivste Sportler der Welt – vor David Beckham, berichtet der neue Playboy von einer Umfrage. Ab Montag will der Weltranglistenzweite in Bremen daran feilen, dass seine Beliebtheit im Reich der Mitte leidet: Bei der Tischtennis-Mannschaftsweltmeisterschaft rüttelt das deutsche Nationalteam am Thron des Abonnement-Champions. Boll dämpft indes die Erwartungen: „Es wäre eine Riesenüberraschung, würde China nicht gewinnen.“ Doch die deutschen Tischtennisfans wollen nicht hören und hoffen auf eine Sensation wie in Dortmund. Bei der letzten WM der Pingpong-Artisten auf deutschem Boden anno 1989 hatten Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner im Doppel zum letzten Mal WM-Gold geholt.
Daher pilgern die Aktiven des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) zum AWD-Dome. 47.000 der 63.000 Tickets für die Veranstaltung vom 24. April bis 1. Mai gingen im Vorverkauf weg. Die letzten Tage sind bereits restlos ausverkauft. Mit 201 gemeldeten Mannschaften und mehr als 800 Aktiven ist die Tischtennis-WM von diesen Zahlen her 2006 das größte Sportereignis in Deutschland. Die an Position fünf gesetzten DTTB-Damen starten in der Gruppe C der 24 Nationen umfassenden Championships Division heute 10 Uhr gegen die Niederlande. Das Team um die Weltranglisten-16. Nicole Struse (FSV Kroppach) und die vierfache Europameisterin Elke Wosik (TV Busenbach) will zumindest das Viertelfinale erreichen. An China führt bei den Frauen kein Weg vorbei: Die ersten fünf der Weltrangliste gehen ausnahmslos für den Giganten an die Platte, der die letzten 31 Jahre nur einmal, 1991, dem vereinten Korea den Titel überlassen musste.
Ähnlich erdrückend ist die Bilanz des 14-maligen Rekord-Weltmeisters bei den Männern – wäre da nicht Boll. Der Spitzenspieler des TTV Gönnern unterbricht die Riege der Chinesen als Einziger auf den ersten vier Plätzen der Weltrangliste. Beim Weltcup Ende 2005 schlug der 25-Jährige deren komplettes Spitzentrio. „Timo ist auch nur ein Mensch. Man kann nicht erwarten, dass er immer zwei Punkte holt“, beschwichtigt DTTB-Cheftrainer Dirk Schimmelpfennig. Christian Süß, mit Boll im Vorjahr in Schanghai Doppelvizeweltmeister, assistiert: „Wir dürfen nicht schockiert reagieren, wenn Timo mal unterliegt. Dann müssen andere in die Bresche springen.“ Der als Messias vorgesehene Boll selbst will sich nicht zu „viele Gedanken im Vorfeld machen, denn dann geht’s meistens schief. Das habe ich aus der Vergangenheit gelernt“. Zunächst einmal solle sich das Quintett „auf die Gruppenphase konzentrieren“. Der Auftakt in der Gruppe C findet heute um 19.30 Uhr gegen Außenseiter Norwegen statt. Vorentscheidend im Kampf um eine Medaille könnte allerdings bereits das Match am Donnerstag gegen Östtereich sein. Team Austria um Exweltmeister Werner Schlager und Abwehrass Chen Weixing wurde als Weltranglistenvierter knapp vor Deutschland gesetzt. Wer sich in den maximal fünf Einzeln – die beiden Besten jeder Auswahl bestreiten zwei Partien, die Nummer drei misst sich nur mit der des Kontrahenten – behauptet, besitzt gegenüber den anderen zwei Qualifizierten einen gewaltigen Vorteil: China bleibt dem Gruppensieger zumindest bis zum Halbfinale erspart. Die Hauptkonkurrenten im Kampf um die Plätze zwei bis sechs sind Südkorea, Hongkong, Taiwan und Schweden. An einen Ausrutscher des Topfavoriten will niemand so recht glauben, auch der schönste Sportler der Welt nicht: „Wir versuchen eine Medaille zu ergattern, bevor wir auf China treffen“, gibt Boll die Marschroute aus. HARTMUT METZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen