Die Macht des Königs bröckelt

Trotz Schießbefehl gibt es weitere Massendemonstrationen in Nepal. Das Angebot von König Gyanendra, die Macht zu teilen, überzeugt niemanden

AUS KATHMANDU ROLF SCHMELZER

Dann fielen doch Schüsse. Die Polizei eröffnete gestern Nachmittag das Gewehrfeuer auf eine riesige friedlich demonstrierende Menschenmenge im Stadtteil Koteswore der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Etwa 30.000 Menschen demonstrierten mit königsfeindlichen Parolen gegen das „halbherzige“ Angebot von König Gyanendra, seineMacht mit den Parteien zu teilen. „Wir wollen Lok Tantra – wirkliche Demokratie und eine demokratische Republik Nepal!“ lauteten die Sprechchöre. Laut Schätzungen waren mindestens eine Million friedlich protestierende Menschen auf den Straßen der Hauptstadt.

Seit Wochen gibt es im Himalajareich Demonstrationen gegen den absolutistisch herrschenden König. Anders als noch am Samstag hinderten die Sicherheitskräfte gestern die hunderttausenden von Demonstranten daran, nahe an den Königspalast heranzukommen. Immer wieder werden die Protestierenden von den Dächern unter fröhlichen „Pani, pani“(Wasser, Wasser)-Rufen eimerweise mit Wasser begossen. Weit und breit war am Samstag weder Polizei noch Militär zu sehen. Sie wurden von der Menge einfach beiseite gedrängt.

Zur gleichen Zeit bewegte sich ein gewaltiger Protestmarsch von mindestens 200.000 Menschen auf dem Weg von der alten Königsstadt Bhaktapur auf den Königspalast in Kathmandu zu. Auch diese Menschen schoben die Sicherheitskräfte trotz Ausgangssperre und Schießbefehl zur Seite. Sie konnten der Welle von Menschlichkeit nicht trotzen.

Das derzeit in Nepal demonstrierende Volk fordert eindringlich und lautstark eine verfassunggebende Versammlung und eine vollständige Entmachtung von König Gyanendra. Am Samstag türmten sich riesige Wolkenberge über der Stadt zusammen, es blitzte und donnerte, die Temperaturen fielen in wenigen Minuten von 25 auf 15 Grad. Pani, pani! Es schüttete wolkenbruchartig. Was die Staatsmacht mit Gewalt nicht vermochte, schaffte der Regen. Die Menge strömte auseinander und sammelte sich in engen Unterschlüpfen für den nächsten Protesttag.

Schon 18 Tage lang wird in Nepal gestreikt – wieder fielen scharfe Schüsse, wurde mit Tränengas und Gummigeschossen gefeuert. Mindestens 200 Menschen mussten verletzt in die Krankenhäuser der Stadt eingeliefert waren.

Unterdessen bleibt die Opposition hart: „Wir werden keine Regierung formen und die Einladung des Königs nicht annehmen“, unterstreicht Girija Prasad Koirala, einer ihrer Führer. Das Bündnis der sieben Oppositionsparteien (SPA) gab eine gemeinsame Erklärung heraus: „Die friedliche und gewaltfreie Protestbewegung wird ihre Proteste fortsetzen und ihre formulierten Ziele erreichen.“ Das Bündnis der sieben Oppositionsparteien forderte die Demonstranten gestern auf, den Druck auf das autoritäre Königsregime zu erhöhen und den Generalstreik fortzusetzen, der das Land seit dem 6. April komplett lahmlegt. An die Sicherheitskräfte appellierten die Oppositionsparteien, die friedliche Demokratiebewegung nicht mit Waffengewalt zu unterdrücken – sondern sich ihr anzuschließen.