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Fremdenindustrie mit Bergziegen

FILM Ins Kino zu einem Kurzurlaub in der Schweiz – Erich Langjahrs entschleunigte Dokumentation „Mein erster Berg – Ein Rigi-Film“

Seit 35 Jahren dreht Erich Langjahr Dokumentarfilme über das Leben in der ländlichen Schweiz, die mal kämpferisch wie „Bauernkrieg“ (1998), meist aber eher beobachtend davon handeln, wie bäuerliche Tradition und globalisierte Welt zusammenprallen. Seine mit den Mitteln des Cinéma direct gedrehten Filme erzählen vom Aussterben bedrohter bäuerlicher Produktionsweisen, vom Wahnsinn der industrialisierten Landwirtschaft, verzichten dabei aber auf jede sentimentale Effekthascherei.

Mit seinem neuen Film, „Mein erster Berg – Ein Rigi-Film“, beschließt der 68-jährige Schweizer Filmemacher, ein Kind der 68er, seine Betrachtung der ländlichen und alpinen Schweiz.

Schon als Erich Langjahr noch Kind war, in der Stadt Zug, mit Blick auf die Rigi, bezauberte ihn das Bergmassiv, das sich zwischen dem Vierwaldstättersee, dem Zugersee und dem Lauerzersee erstreckt. 85-mal hat er den Berg bislang schon bestiegen.

Wenn man „Mein erster Berg“ sieht, ohne zuvor etwas über den Film gelesen zu haben, ist man zunächst verwirrt. Man erwartet eine Art persönliche Rückschau und sieht zuerst 20 Minuten lang, kommentarlos, wie ein stämmiger bärtiger Mann mit wenigen Gehilfen ein Haus baut, wie er sägt, die Rinde der Baumstämme abschabt, Beton gießt. Langjahr nimmt sich so viel Zeit, die Arbeitsschritte zu zeigen, dass man manchmal das Gefühl hat, dies sei ein idealer Schulunterricht-Film. Dann fällt einem ein, dass man ja selbst längst vergessen hat, wie ein Haus gebaut wird. Und überlässt sich wieder den Bildern, die sehr schön sind, weil es im Hintergrund schneebedeckte Berge gibt.

Anfangs vermisst man die Worte, später hat man das Gefühl, dass sie einen bei der Betrachtung eher stören würden.

Die Gesichter der Arbeiter wirken archetypisch, weil sich niemand vorstellt, weil niemand erklärt, was das soll. Dass jeder seine eigene Geschichte hat, ist klar.

Nach einer halben Stunde etwa setzt eine dezent lustige Bergmusik ein, putzige Bahnen fahren um das Haus, die touristische Bedeutung rückt ins Bild. Man sieht eine futuristische Antennenanlage, die gleichzeitig wohl Aussichtsplattform ist, blickt auf die Seen, die den Berg umgeben, hört Schiffssirenen, Touristen fliegen in Gleitschirmfliegern vorbei und rufen fast rührend „Hallo“.

Man sieht den Bärtigen wieder, er heißt Märtel Schindler, hat einen Hof an den Hängen des Berges und ist in vielen Berufen tätig. Mit einem riesigen Holzhammer schlägt er Pfähle ein. Man sieht, im Close-up, wie Kälbchen an den Zitzen einer Kuh saugen, man sieht echte Mannsbilder in traditionellen Formen des Ringkampfs, fotografierende Touristen, einen irgendwie pittoresken, käferartigen Kleinbagger, Bergziegen, Gleisarbeiten, Steinewerfer, wunderschöne Landschaftsbilder. Im Abspann gibt es tolle Zitate zur Rigi. 1945 etwa schrieb Hermann Hesse: „Fühle mich fremd dort und abgestoßen von der Fremdenindustrie.“

Erich Langjahr gilt als Meister der Entschleunigung. Das klingt zunächst nach Kunst und Langeweile. Wenn man sich als von tausend Reizen gebeutelter Großstädter auf den formal herausragenden Film einlässt, ist es wie ein kleiner Erholungsurlaub.

DETLEF KUHLBRODT

■ „Mein erster Berg – Ein Rigi-Film“ (Schweiz 2012): Hackesche Höfe, 17.45 Uhr (Sonntag auch 11 Uhr), fsk, Sonntag 16.15 Uhr

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