berliner szenen Brötchen am Lenker

Stinken und Sinken

Es ist Samstagmittag. Es nieselt. Ich stehe etwas derangiert im Flur und versuche scharf nachzudenken: „Wo sind die Schrippen?“ Ich weiß genau, dass ich letzte Nacht vier Schrippen gekauft habe. Also heute Morgen. Die Bäckerin guckte schon wieder so missbilligend, als ich in ihren Laden kam. Dabei hab ich mich wirklich zusammengerissen. Ich rekapituliere: Volksbühne, Kaffee Burger, Baiz. Die letzte Kneipe weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich genau, dass ich das Fahrrad vorm Bäcker an- und wieder abgeschlossen habe.

Probehalber gucke ich aus dem Fenster. Da sind sie! Nass, aber friedlich baumelt die Brötchentüte am Fahrradlenker. Schnell werfe ich mir den versifften Fummel von gestern über und haste barfuß die Treppe hinunter. Unten will ich mit gerettetem Frühstück ins Haus zurück, da steht eine Frau mit Hund vor mir. Sie schaut unschlüssig auf meine nackten Füße, der Hund wedelt aus Leibeskräften. Zutraulich leckt er mir die Hand, als ich ihn am Kopf kraule. Das arme Tier, denke ich, wenn ich so schmecke, wie ich rieche. Der stirbt noch an Nikotin- und Alkoholvergiftung. Oder Schlimmerem. Was weiß ich, wo ich gestern überall reingefasst hab. Ich weiß doch kaum, wie ich nach Hause gekommen bin.

Laut sage ich: „Entschuldigung, ich stinke.“ Das Gesicht der Frau versteinert. Warum hast du das jetzt gesagt, denke ich weiter, jetzt wird sie es ganz Pankow erzählen. Die Bäckersfrau wird Bescheid wissen, die Nachbarn werden mich nicht mehr grüßen, meine Lesebühne wird mich rausschmeißen, und ich muss auswandern. Am besten erklären, denke ich und sage: „Ich hab nämlich noch die Sachen von letzter Nacht an.“ Es gibt Momente, da möchte man sich selber ins Knie schießen. LEA STREISAND