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: Das große Ohrläppchenstechen

Der Bundestrainer versammelt 17 seiner Nationalspieler zum Fitnesstest und macht sich ein Bild über die WM-Tauglichkeit ihrer Laktatwerte

Jürgen Klinsmann hat es geahnt. Deutschland ist, was die Fitness betrifft, nur Mittelmaß. Er hat Körpergurus aus den USA einfliegen lassen, hat die Bundesligatrainer vor den Kopf gestoßen, weil er behauptet hat, es liege viel Potenzial brach bei den deutschen Elitekickern. Er wollte alles anders und alles viel besser machen als seine Vorgänger, damit Deutschlands Kicker endlich nicht mehr hinterherhecheln müssen, wenn die großen Fußballnationen ihr unwiderstehliches Tempospiel aufziehen. Jürgen Klinsmann spürte, dass Deutschland schlapper ist als die anderen, und hat seine Agenda 2006 entwickelt.

Was der Bundestrainer nur vermuten konnte, wurde jetzt durch eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung belegt. Nur 8,5 Prozent aller Deutschen sind Mitglied in einem Fitnessstudio. Ein mittelmäßiger Wert. In den Niederlanden besuchen 15 Prozent der Bevölkerung regelmäßig eine Körperertüchtigungsbude, in Großbritannien sind es mehr als 14 Prozent. Das ist ein Vorsprung, der so leicht, vor allem so schnell nicht aufgeholt werden kann. Auch nicht mit hochmodernen Gummibändern, die – zwischen die Knöchel gespannt – selbst die schönsten Fußballerbeine wie Froschschenkel aussehen lassen. Das wird auch Jürgen Klinsmann wissen. Er hat den Spielern Hausaufgaben mitgegeben, hat nicht vertraut auf die Fähigkeiten der Ligatrainer. Die Nationalspieler sollten fitter sein, als es ein gewöhnlicher Bundesligaspieler ist. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen. In Düsseldorf findet der große Fitnesstest statt. Der halbgroße zumindest. Denn die Spieler des FC Bayern und des FC Schalke müssen nicht mitmachen. Die sollen durch den Test nicht gestört werden in ihren Vorbereitungen auf internationale und nationale Pokalverpflichtungen. Fremdarbeiter Jens Lehmann hat einen Termin in der Champions League. Aber um ihn braucht sich Jürgen Klinsmann ohnehin keine Sorgen zu machen. Der lebt ja bestens integriert im Land der Fitnessstudiobegeisterten.

Klinsmann hat also 17 Eleven um sich versammelt zum großen Ohrläppchenstechen. Denn alles spricht von den Laktatwerten der Spieler, die sich in Düsseldorf eingefunden haben. Doch nichts dringt nach außen. Wie fit ist Per Mertesacker? Können seine Werte mit denen des aus der Versenkung aufgetauchten Jens Nowotny mithalten? Lässt sich Klinsmann auch Blut abnehmen? Und was geschieht eigentlich mit einem Spieler, dessen Werte hundsmiserabel sind? Bekommt er neue Hausaufgaben? Muss dessen Vereinstrainer ein Strafseminar zum Thema „Moderne Körperertüchtigung“ in Kalifornien besuchen? Muss der Unfitte gar vom WM-Zug abspringen? Bleibt am Ende überhaupt jemand übrig, dessen Laktatwerte WM-tauglich sind? Und kommt dann am Ende doch noch Christian Wörns? Oh weh!

ANDREAS RÜTTENAUER