Das Lächeln des Künstlers

Kolo Touré ist 25 Jahre alt und Abwehrchef bei Arsenal London – auch an ihm liegt es,dass die Londoner in der Champions League neunmal in Folge keinen Treffer zugelassen haben

AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN

Sein erstes Probetraining bei Arsenal hat Kolo Touré nie vergessen. Der damals 20-Jährige von Asec Mimosas, dem größten Verein der Elfenbeinküste, wurde beim Spielchen „Angreifer gegen Verteidiger“ Letzteren zugeteilt, und nach wenigen Minuten holte er einen Stürmer vor lauter Übereifer krachend von den Beinen. Touré ging auf die Knie und entschuldigte sich vielmals, die Mitspieler kullerten sich vor Lachen. Er hatte Arsène Wenger niedergegrätscht.

Der Trainer nahm es mit Humor. Der Ivorer hatte ihn mit seinem Einsatz überzeugt. Er unterschrieb am Valentinstag 2002, ohne den Vertrag ganz gelesen zu haben. „Ich hatte Angst, dass die es sich wieder anders überlegen, und kritzelte einfach so schnell wie möglich meinen Namen hin“, lacht Touré. Wenn er lächelt, bleibt vor lauter Zähnen und Augen kaum ein Gesicht übrig. Und Touré, der Sohn eines Armeeoffiziers aus Abidjan, lächelt eigentlich immer. Egal, ob er seine Mitspieler mit rudernden Armen nach vorne schickt, Ronaldo oder Zlatan Ibrahimovic die Contenance stiehlt oder sich nach dem Training persönlich für das gelungene Mittagessen bei Arsenals Kantinenchef bedankt.

Mit seiner kindlichen Spielfreude, dem schonungslosen Einsatz – im ersten Jahr zog er sich vom vielen Grätschen einen Ermüdungsbruch zu – und mit seiner leichten Überdrehtheit erinnert der Ivorer manchmal ein wenig an den jungen Sammy Kuffour. Bayerns Ghanaer verwechselte nicht selten Oliver Kahns Kopf mit dem Ball. Etwas Ähnliches ist neulich im Old Trafford auch Touré passiert: er rammte dem aus dem Tor geeilten Jens Lehmann versehentlich ein Knie in die Nieren. Jemanden absichtlich zu verletzten käme dem gläubigen Muslim jedoch nie in den Sinn. „Es ist nur ein Spiel“, sagt er, „man darf nur um den Ball kämpfen. Spieler müssen eine gute Einstellung zeigen. Wir sind Künstler.“

El Madrigal, das Stadion von Villarreal, verlangt heute (20.45 Uhr) die nächste Kostprobe seines Könnens. Touré hat das einzige Tor im Hinspiel erzielt, er ist mit seinen 25 Jahren in Arsenals junger Viererkette tatsächlich der Abwehrchef. In acht von neun Champions-League-Spielen ohne Gegentor in Folge verteidigte er Lehmanns Kasten mit verblüffender Souveränität. „Es ist nicht einfach, wenn man die anderen anführen muss“, sagt er, „aber wir spielen sehr gut zusammen und Gott hält zu uns.“ In Spanien wird auch Englands Nationalverteidiger Sol Campbell mithelfen, er kann nach mentalen Problemen und einer Nasenoperation erstmals wieder spielen – aber auch nur, weil der Schweizer Philippe Senderos, 21, sich am Samstag das Knie verdreht hat. Das sagt fast schon alles über die Qualität der Nachwuchs-Viererkette und über Touré, ihr wichtigstes Glied.

Die Leistungssteigerung ist allerdings kein Zufall. Nach dem ersten Halbfinal-Spiel hat er mit unwahrscheinlich leisen, vorsichtigen Worten erzählt, dass er sich jeden Tag nach dem Training mit dem alten Haudegen Martin Keown trifft und von ihm wertvolle Tipps einholt. Keown bildete mit dem ehemaligen Kapitän Tony Adams vor 15 Jahren die in ganz England für ihre Härte und Unüberwindbarkeit gefürchtete Arsenal back four. Ihre Nachfolger sind auf gutem Weg, schon in jungen Jahren zu ähnlichen Legenden zu werden. Senderos wird von den Fans wegen seiner an Adams erinnernden – also von technischen Feinheiten unberührten – Spielweise als „Swiss Tony“ (Schweizer Tony) verehrt; Touré ist als Fußballer dem Rohbein Keown sowieso meilenweit voraus.

Die ganze Elfenbeinküste drückt den Gunners die Daumen. Das von politischen Unruhen heimgesuchte Land hat Arsenal adoptiert; neben Touré, dessen Familie von UN-Soldaten bewacht in der Hauptstadt lebt, spielen die Ivorer Emmanuel Eboué und Johan Djourou in Nordlondon. „Als Sportler kannst du den Menschen in schwierigen Zeiten Glück bringen“, sagt er, „deswegen arbeite ich besonders hart. Es läuft nicht gut für mich, weil ich ein Genie oder ein Gentleman bin oder weil ich gut aussehe. Sondern weil ich zu meinem Gott bete.“ Mit Allahs Hilfe bleibt das Lächeln bis zum Endspiel in Kolos Gesicht. In Paris würde er wohl Ronaldinho treffen. Den einzigen Spieler auf der Welt, der noch mehr Zähne zeigt.