Oh Jemene!

Prozesse und Attentate sollen die einst mutige Presse im Jemen zum Schweigen bringen. Sieben Zeitungen mussten allein 2005 dichtmachen

VON KERSTIN SPECKNER

Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh gibt sich gerne demokratisch offen: Die Pressefreiheit wird in der Verfassung garantiert. Und für die anstehende Reform des Pressegesetz forderte er, die bisherigen Haftstrafen für Journalisten zu streichen.

Chefredakteur Mohammed al-Asaadi vom Yemen Observer nützt das alles nichts. Er sitzt seit dem 11. Februar in Untersuchungshaft. Am Wochenende wurde der seit Monaten hinausgezögerte Prozess mal wieder vertagt – auf Anfang Mai. Angeklagt ist al-Asaadi wegen Beleidigung des Propheten. Seine Zeitung darf nicht mehr gedruckt werden. Im Jemen scheint es vorbei zu sein mit der für ein arabisches Land ungewöhnlich vielfältigen Presselandschaft, in der bislang auch Oppositionsparteien offen publizieren durften.

Der Yemen Observer hatte Anfang Februar die dänischen Mohammed-Karikaturen nachgedruckt – durchgestrichen und versehen mit kritischem Kommentar. Al-Asaadi wollte so den Propheten verteidigen und rief zu religiöser Toleranz auf. Das Echo war alles andere als tolerant: Die zivilen Nebenkläger fordern für al-Asaadi ein lebenslanges Schreibverbot, einer will sogar seine Hinrichtung. Asaadis Kollegen vermuten, dass ihre Zeitung, die während des Verfahrens nicht erscheinen darf, dadurch ruiniert werden soll. Der Termin wurde viermal verschoben – angeblich war die Anklage nicht ausreichend vorbereitet. Auf www.yobserver.com arbeiten sie unentgeltlich weiter und berichten über den Prozess.

Dabei gab es zuvor wirklich etwas wie Aufbruch: Als sich nach den Anschlägen vom 11. September 2003 das Interesse der Weltöffentlichkeit auch auf den Jemen richtete, trauten sich viele jemenitische Journalisten, bisherige Tabus der islamischen Präsidialrepublik zu brechen. Sie begannen kritisch über die Regierung und Autoritäten zu schreiben, Korruption und Vetternwirtschaft aufzudecken. Doch jetzt leben Journalisten im Jemen so gefährlich wie schon lange nicht mehr. Seit 2004 standen fast 200 Journalisten vor Gericht, so die Yemen Times. Sieben Zeitungen wurden allein im vergangenen Jahr geschlossen. Attentate auf Journalisten häufen sich. Aufgeklärt werden sie selten. In der Küstenstadt Aden liegt seit der vergangenen Woche Abdulfatah al-Hakimi auf der Intensivstation, nachdem Unbekannte Giftgas in sein Auto geleitet hatten. Al-Hakimi gilt als regierungskritisch und hatte über einen Aufstand im Norden des Landes geschrieben. Dschamal Amer, Herausgeber der Zeitung al-Wassat („Die Mitte“), der öffentlich machte, wie Angehörige von Regierungsmitgliedern Stipendien und Posten erhalten, wurde entführt, misshandelt und bedroht.

Auch die anstehende Pressegesetzreform erweist sich als Augenwischerei: Es sieht zwar keine Haftstrafen mehr vor, aber das parallel gültige Strafrecht behält seine Sonderregeln für „journalistische Vergehen“ – bis hin zur Todesstrafe. Außerdem soll geregelt werden, dass man nur noch mit Zulassung des Informationsministeriums als Journalist arbeiten darf. Kritik an der Regierung ist im Gesetzentwurf ausdrücklich verboten. Jemens Justizminister Adnan al-Dschafri hält ihn dennoch für „das Beste, das derzeit in der arabischen Welt existiert“. Reporter ohne Grenzen sieht Jemen in der „Rangliste der Pressefreiheit“ jedoch weit hinten – auf Platz 136.

Doch Jemens Journalisten geben nicht auf: Im September sind Wahlen. Auch die Journalistin Raschida al-Qaili will kandidieren – weil ihrer Meinung nach die bisherige Regierung die Demokratisierung bedroht.