Nach dem Fall Aygül Özkan – muss die Union sich spalten?

PRO
DIRK KNIPPHALS ist Redakteur für Literatur der taz

Mit einer Spaltung in Realos und Fundis haben die Grünen in den Neunzigerjahren gute Erfahrungen gemacht. Mit ihrer Hilfe konnten die internen Konflikte, die auf dem langen Marsch zur Regierungsfähigkeit notwendig entstanden, ausgetragen werden.

Die CDU/CSU bräuchte auch gerade so etwas – eine Form, mit der ihre internen Differenzen sinnvoll bearbeitet werden können. Denn auf der einen Seite hat eine Fraktion innerhalb der C-Parteien tatsächlich begriffen, dass Deutschland ein liberales Einwanderungsland ist und als politisch-gesellschaftliches Projekt seine Grundlagen sowieso immer wieder neu aushandeln muss. Das sind die Realos. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch die Fraktion, die wirklich denkt, dass wir eine christlich-abendländische Wertegemeinschaft sind, die ihre Traditionen hüten muss, weil sonst alles auseinanderfliegt. Das sind die Fundis. Die Spaltung existiert also. Nur wird sie, anders als bei den Grünen in den Neunzigern, mit volksparteilichem Konsensdenken übertüncht. Dabei geht viel Vormodernes als gesellschaftliche „Mitte“ durch, das Kruzifix zum Beispiel. Wie der Fall Özkan zeigt, haben die Modernisierer in der CDU/CSU noch nicht die Kraft, den Fundamentalismus ihrer internen Kontrahenten eindeutig zu benennen. Es wäre aber an der Zeit, das zu tun. Denn dass sich auf den Mixas dieser Welt keine verantwortungsbewusste Gesellschaft aufbauen lässt, das haben zwar kürzlich alle gesehen. Doch sie scheuen vor der Konsequenz zurück, die besagt, dass eine Gesellschaft sich ohne Glauben bauen muss – und auch kann. Mit dieser Angst übrigens sind die Konservativen nicht allein. Auch der linksliberale Jürgen Habermas redet von „religiösen Sinnressourcen“.

Jedes Denken aber, das annimmt, die liberale Gesellschaft habe Voraussetzungen, die sie selbst nicht herstellen kann, besitzt einen fundamentalistischen Kern – irgendwo lauert da immer ein Kruzifix. Gerade die Parteien mit dem C in ihrem Namen wären berufen, diesen Kern mit Hilfe einer internen Spaltung bewusst zu machen und zu bearbeiten.

CONTRA
RALPH BOLLMANN leitet das Parlamentsbüro der taz

Vielleicht ist die CDU heute nur noch in einem einzigen Punkt ganz streng katholisch: in ihrer unvergleichlichen Fähigkeit, Widersprüche zwischen Schein und Sein, zwischen Sein und Sollen einfach hinzunehmen – statt sie mit den Mitteln der protestantischen Wortkultur stets auflösen zu müssen. Wie das funktioniert, hat die Partei in dieser Woche einmal mehr demonstriert. Die Kruzifixe dürfen bleiben, die Ministerin auch: Mit dieser anspruchslosen Formel würgte das Spitzenpersonal die heikle Debatte ab.

Verglichen mit den Kämpfen, die Katholiken und Protestanten in der CDU einst austrugen, waren die Proteste gegen die türkischstämmige Sozialministerin ohnehin recht lau. Als Konrad Adenauer die einst von Katholiken dominierte Niedersachsen-CDU erstmals zur Nominierung eines protestantischen Spitzenkandidaten zwang, wurde der Untergang des Abendlands jedenfalls weitaus heftiger beschworen. Umgekehrt wäre es der protestantischen Wählermehrheit niemals eingefallen, für einen katholischen Kandidaten zu votieren.

Natürlich ist das C ein Problem in der modernen Gesellschaft, aber am Ende nicht für die Anhänger des Islam. Gläubige Christen und gläubige Muslime werden sich schon zu arrangieren wissen, vielleicht sogar allzu gut für den Geschmack des aufgeklärt-laizistischen Publikums innerhalb und außerhalb der CDU. Mehr noch als vor den Kirchgängern ängstigte sich die Parteispitze in der Debatte um Aygül Özkan vor einer inzwischen wohl deutlich größeren Personengruppe: den kirchlich ungebundenen, dafür umso militanteren Gegnern des Islam.

Mit Religion hat die Debatte wenig zu tun. Nicht das Kruzifix ist das Thema, zumal es in den meisten Schulen Niedersachsens gar nicht hängt. Anstoß erregt, wer das vermeintliche Symbol des Abendlands verbannen wollte – eine Muslima. Sollte sich jemals eine Partei rechts der CDU etablieren, das wissen die Strategen ganz genau, dann wird sie ähnlich wie in den Niederlanden aus dieser Richtung kommen. Das wäre dann aber eine Neugründung und keine Spaltung der Partei.