Der Bienenschwarm auf dem Balkon

STADTLEBEN Bienen sterben aus und mit ihnen die Imker. Doch eine neue Szene von Stadt-Imkern hält Schwärme auf Balkonen, Hinterhöfen und Garagen. Möglich wird das durch die Bienenkiste

In schwindelnder Höhe klettert Norbert Szameitat auf sein Dach. Er balanciert zur Rückseite der Kiste, nimmt eine Holzplatte ab und legt den Blick frei auf die goldenen, feingliedrigen Waben

VON JEAN-PHILIPP BAECK

Norbert Szameitat steigt ganz nach oben. Die Steintreppe hinauf, dann die alte, knarzige Holztreppe hoch, bis er die Dachboden-Luke aufzieht und auf der wackeligen Leiter in den ausgebauten Erker des Dachzimmers klettert. Dann, durch das Dreiecks-Fenster, vor der Silhouette der Nachbar-Dächer, sieht er sie endlich: seine Bienen. Im Flugschlitz einer nussbraunen Kiste versammeln sich die Tiere, sirren hinein und hinaus. Die Box steht auf Szameitats Dachterrasse, mitten in Bremens alternativ-bürgerlichem Wohnviertel „Ostertor“.

Imker ist Szameitat erst seit ein paar Monaten, im Juni hat er seinen Schwarm selbst eingefangen – „ein fast religiöser Akt“, sagt er. Dass er es so schnell zu einer eigenen Bienenpopulation schaffen würde und dass die Imkerei sich mit dem Leben in der Stadt ganz und gar nicht ausschließen muss, hätte er bis vor Kurzem nicht gedacht.

Doch wie Norbert Szameitat ziehen immer mehr Menschen in der Stadt einen eigenen Bienenschwarm groß – auf der Terrasse, im Reihenhaus-Garten oder auf dem Balkon. Möglich wird das durch die Bienenkiste, eine etwa einen Meter große Holzbehausung, mit der das Hobby-Imkern zum Kinderspiel wird – oder zumindest fast. Erfunden hat sie 2006 der Hamburger Erhard Maria Klein, Naturfreund und Webprogrammierer. Die Imkerei war seine Leidenschaft, doch wie für viele der fast 100.000 deutschen Imker nur ein Hobby – allerdings eines, das mit einem großen Aufwand verbunden war.

Klein wollte das ändern und schaute sich nach einfacheren Möglichkeiten um. In der Krain, einer Region in Slowenien, fand er den „Krainer Bauernkasten“, in der traditionell in horizontaler Lage Bienen gehalten werden. Er machte ein paar Anpassungen und entwickelte die moderne Bienenkiste – und zwar speziell für die urbane Schwarmhaltung.

„Die Arche Noah für die Bienen sind die Städte“, sagt Klein. Dort blühe immer etwas: „Hausgärten, Parks oder Friedhöfe.“ Auf dem Land sei das leider nicht mehr so – Randbegrünung und Kornblumen würde weggespritzt und die Agrarlandschaft sei mittlerweile „eine Monokulturwüste“.

In schwindelnder Höhe klettert Norbert Szameitat langsam auf sein Dach. Die Bienen summen weiter ein und aus. Er balanciert zur Rückseite der Kiste, nimmt eine Holzplatte ab und legt so den Blick frei auf die golden und feingliedrig gebauten Waben. Selbst, als Szameitat in die Kiste hineingreift, bleiben die Bienen ruhig. „Direkt vor dem Flugloch sollte man sich nicht so schnell bewegen“, sagt Szameitat. Nur dann denken die Bienen, ihr Schwarm werde angegriffen. Ansonsten sind sie brav wie Willi, der Freund von Biene Maja.

„Alle Sorgen im Hinblick auf Bienenstiche stammen von den Erfahrungen mit Wespen“, erklärt Kisten-Erfinder Klein. Nur in der Nähe von Spielplätzen solle man die Kisten besser nicht aufstellen.

„Es ging mir darum, die Imkerei auch für Leute attraktiv zu machen, die vielleicht nur ein bisschen Honig für sich selbst brauchen und daran Freude haben“, sagt Klein. Der Honig-Ertrag ist bei der Bienenkiste eher eine Nebensache. Die Holzbox bietet Klein für 250 Euro an, die meisten zimmern sie nach Anleitung selbst zusammen, man braucht kein spezielles Gitter-System und keine Honig-Schleuder. Zur Ernte werden einfach die überschüssigen Waben abgetrennt und der Honig herausgepresst. Die Bienen und ihr Bau werden so weit wie möglich sich selbst überlassen.

Bei der konventionellen Imkerei sei das nicht so, sagt Klein. „Selbst die meisten Hobby-Imker betreiben eher eine Art der Massentierhaltung“, sagt er. Es gebe eingefahrene Sichtweisen und: „Viele Imker sind mittlerweile alte Männer.“ Nicht nur die Bienen sterben aus.

Dabei braucht es die Imker, denn heutzutage könne die Biene ohne die Hilfe des Menschen sich nicht mehr durchsetzen, erklärt Klein. Das liegt vor allem an der Varroa-Milbe, die viele Bienen dahinrafft und gegen die sie allein nicht ankommen.

Die Bienenkiste soll deshalb für Imker-Nachwuchs sorgen. Und das funktioniert. Jedes Jahr beginnen einige Tausend neue Bienenkisten-Imker, schätzt Klein. Etwa die Hälfte sind Frauen, sehr viel mehr jedenfalls als bei der konventionellen Imkerei. Auf Kleins Website ist die Kiste für dieses Jahr ausverkauft, nur Vorbestellungen für 2014 sind noch möglich. Es ist eine eigene Szene, die sich da entwickelt hat. In Internet-Foren werden Tipps ausgetauscht, es gibt eine Online-Börse für Bienenschwärme und eine Kontaktbörse.

Norbert Szameitat hörte erst auf seinem Imkerlehrgang davon, mit dem er sich auf einen geplanten Umzug aufs Land vorbereiten wollte. Mit der Kiste hat er sich nun ein Stück Natur in die Stadt geholt. Er hofft auf etwa 10 bis 15 Kilo Honig.

„Die Schadstoffe in der Stadt belasten den Honig übrigens nicht“, sagt Szameitat. Bienen holen sich den frischen Nektar und filtern die Umweltgifte heraus. Auch der großflächige Einsatz von Pestiziden auf dem Land spielt in der Stadt keine Rolle. Von Szameitats Honig bekommen wohl auch seine Nachbar etwas ab. „Alle hier in der Gegend sind begeistert“, sagt Szameitat. Manch einer hätte sogar extra Blumen für seine Bienchen ausgesät.

Bauanleitung und Informationen unter www.bienenkiste.de