Leinenzwang für Hunde?
JA

FREIHEIT Entspanntes Joggen durch den Park, und plötzlich rast ein Fellbündel auf einen zu. In vielen deutschen Städten müssen Hunde an der Leine gehen. Auch in Berlin wird darüber diskutiert

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Udo Walz, 69, ist Friseur der Prominenz und hat zwei Hunde: Lola und Oskar

Ich habe einen französischen Breton aus der Tötungsstation und einen Yorkshire-Spitzmischling. Die beiden gehen immer an der Leine. Würde ich sie frei laufen lassen, würden sie bei der ersten läufigen Hündin, einem Hasen oder Vogel abhauen. Auch meine Haushälterin darf mit den Hunden nur an der Leine gehen, das ist sonst zu gefährlich für die beiden. Sie sind freundliche Hunde und springen gerne an den Leuten hinauf, um sie zu begrüßen, aber das will natürlich nicht jeder. Es gibt ja auch Menschen, die Angst vor Hunden haben. Eine Leinenpflicht wäre also grundsätzlich nicht schlecht. Den Hundeführerschein – der war ja auch schon im Gespräch – finde ich allerdings albern. Mir kommt es so vor, als säße da jemand, der Langeweile hat und an seinem Bleistift dreht. Man kann doch nie wissen, wie ein Hund reagiert. Ob da ein Hundeführerschein wirklich ratsam ist?

Thomas Heilmann, 49, ist Berliner Senator für Justiz und Verbraucherschutz

Wir leben hier in einer Millionenmetropole, die zu den beliebtesten Städten Europas zählt. Das ist ein Privileg, hat aber seinen Preis. Denn Großstadt heißt, weniger Platz für den Einzelnen und mehr Rücksichtnahme für alle. Dazu gehört für mich auch, dass Hunde auf Straßen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und in geschützten Grünanlagen grundsätzlich an der Leine laufen. Zu ihrem eigenen Schutz – Stichwort Verkehr – und aus Rücksicht auf andere. Natürlich wäre es mir am liebsten, das ginge ohne eine staatliche Regelung. Der Alltag auf Berlins Straßen und nicht zuletzt die Diskussionen im Zuge unseres Bello-Dialogs haben aber gezeigt: Ganz von alleine nehmen nicht alle genug Rücksicht. Für mich ist die Leinenpflicht deshalb ein wichtiges Mittel auf dem Weg zu einem besseren Miteinander von Mensch und Hund in unserer Stadt. Da Hunde zur artgerechten Haltung auch Auslauf brauchen, bin ich sehr für mehr Hundegärten und andere Befreiungen – solange andere wenig oder gar nicht gestört werden.

Anne Fromm, 27, ist Journalistin und hatte eine schmerzhafte Begegnung mit einem HundVor einem Jahr rannte mir nachts ein schwarzer Labrador vor mein Fahrrad. Er kam aus einem Haus herausgeschossen, ich hatte keine Chance, ihn rechtzeitig zu sehen. Ich flog über den Lenker und landete auf dem Gesicht. Das Nächste, woran ich mich erinnere, sind ein aufgelöster Hundehalter und mehrere Passanten über mir. Ich kam ins Krankenhaus: rechter Arm doppelt gebrochen, mehrere Prellungen in Gesicht und am Körper. Einen Monat lang war ich handlungsunfähig: Duschen, Einkaufen, Brotschneiden, für alles brauchte ich Hilfe. Es dauerte drei Monate, bis ich meinen Arm wieder schmerzfrei bewegen und belasten konnte. Ich mag Hunde; auch den, der mir ins Fahrrad lief, fand ich eigentlich ganz schön. Aber sie sind unberechenbar und auch der vermeintliche Familienhund rennt los, wenn er will. Eine Leinenpflicht würde den Verkehr wesentlich sicherer machen.

Ilona Bubeck, 62, taz-Leserin, hat zwei Hunde und ist Mitgründerin des Querverlages

Im Stadt- und Wohngebiet halte ich eine Leinenpflicht für Hunde grundsätzlich für richtig. Hunde, auch die gut erzogenen, sind nie ganz berechenbar. Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Daher sollte der Hund zum Schutz aller immer an der Leine sein – das finden Hunde gar nicht so tragisch. Hauptsache, sie sind in Bewegung. Voraussetzung ist, dass es genügend große Auslaufgebiete gibt, in denen Hundehalter ohne Leinenzwang spazieren gehen können.

NEIN

Birgitt Thiesmann, 50, ist Heimtierexpertin beim Tierschutzverein Vier Pfoten

Den eigenen Hund anzuleinen, macht Sinn – in Innenstädten, an stark befahrenen Straßen, Kinderspielplätzen oder wenn der Hund noch nicht richtig sozialisiert ist. Eine generelle Leinenpflicht jedoch behindert den Hund massiv darin, sein arteigenes Verhalten auszuleben. Hunde brauchen Auslauf und den sozialen Austausch mit Artgenossen. Ein angeleinter Hund ist in seinem Bewegungsspielraum stark eingeschränkt. Spielen und Toben ist für ihn so kaum möglich. Hunde ohne Leine dagegen können beim Spazierengehen ihr eigenes Tempo vorgeben. Wichtig ist auch, dass sie lernen, mit alltäglichen Herausforderungen umzugehen. Ein Hund, der diese Erfahrungen nicht machen kann, wird zum Problem, wenn er entwischt. Besser ist es, im Einzelfall zu entscheiden: Hunde, die durch aggressives Verhalten aufgefallen sind, unsicher sind oder einen starken Jagdinstinkt haben, sollten an die Leine. Gut erzogene Hunde sollten aber frei laufen dürfen.

Udo Kopernik, 58, ist Pressesprecher des Verbandes für das Deutsche Hundewesen

Ein bisschen verhält es sich mit der Leine wie mit der Krawatte. Bei bestimmten Anlässen ist sie angemessen, ein genereller Zwang jedoch ist töricht. Eine permanente Leinenpflicht behindert das artgerechte Leben der Hunde und ist daher als tierschutzrelevant zu betrachten. Studien belegen außerdem, dass es bei angeleinten Hunden häufiger zu Konfrontationen kommt als bei frei laufenden Vierbeinern. Zudem müssen wir immer wieder feststellen, dass Auslaufflächen, die von Kommunen zum Ausgleich einer weitgehenden Leinenpflicht geschaffen wurden, zu klein oder nur mit hohem Aufwand erreichbar sind.

Gabriela Berg, 53, ist Tierärztin und Mitglied der bayerischen Piratenpartei

Jeder Beißvorfall ist einer zu viel, ja. Aber auch ein angeleinter Hund kann beißen. Rechtfertigt das, in allen Hunden generell eine Gefahr für andere Hunde und für Menschen zu sehen? Nein, denn: Auch von Autos und Fahrrädern geht eine Gefahr aus. Es gibt Menschen, die Angst vor Hunden haben. Doch ein subjektives Unsicherheitsgefühl rechtfertigt nicht den Erlass einer Leinenpflicht. Es gibt Situationen, in denen Hunde angeleint sein sollten – zum Beispiel auf der Straße, in der Fußgängerzone oder auf Spielplätzen. Es gibt unerzogene Hunde und unfähige Hundeführer. Und genau da liegt das Problem: Als verantwortungsbewusster Hundeführer habe ich mein Tier jederzeit im Griff, oder ich muss daran arbeiten. Uneinsichtige müssten zur Nachschulung.

Chibi, 5, ist eine Chihuahua-Prager-Rattler-Mischung und taz-Maskottchen

Ich bin gegen einen Leinenzwang, weil eine Leine keine Erziehung ersetzen kann. Ich bin von Anfang an fast immer frei gelaufen – dadurch bin ich daran gewöhnt und drehe auch nicht durch, wenn mein Frauchen mich von der Leine lässt. Ich muss selbst gucken, dass ich sie nicht aus den Augen verliere und bleibe immer ganz nah bei ihr. Sie ist sehr streng, doch das ist gut so. Ich renne nicht wie irre zu anderen Hunden hin, sondern halte einen gesunden Abstand. Das kann ich aber nur, weil ich nicht durch eine Leine gezwungen bin, bestimmte Wege zu gehen. Auch Kinder oder joggende Menschen regen mich nicht auf. Ich könnte überall hingehen, wenn ich wollte, mache ich aber nicht. Eine innere Verbindung zu meiner Rudelführerin ist für mich viel wichtiger als irgendein Strick. Nur bei aggressiven oder gefährlichen Hunden finde ich eine Leine oder sogar einen Maulkorb richtig.