„Müll wird illegal entsorgt“

Trotz Tschernobyl setzt die Atomindustrie in NRW auf sowjetische Technik: Müll aus Gronau wird nach Russland exportiert. Was damit passiert, ist unklar, klagt Atomkraftgegner Udo Buchholz

INTERVIEW ANDREAS WYPUTTA

taz: Herr Buchholz, Sie protestieren seit 1980 gegen den Betrieb der Gronauer Urananreicherungsanlage (UAA). Warum dieses Engagement?

Udo Buchholz: Die UAA hat eine riesige Bedeutung für die atomare Brennstoffspirale. Sie versorgt nicht nur viele Atomkraftwerke. Selbst die Anreicherung für militärische Zwecke, für den Bau von Atomwaffen, wäre nach Umbauarbeiten technisch machbar.

Die Anlage ist also gefährlich?

Ja, auch für die Bevölkerung hier vor Ort. Zwar strahlt die UAA nicht so stark wie ein Reaktor, doch würden bei einem Unfall tonnenweise radioaktives und hochgiftiges Uranhexafluorid austreten. Ich wohne keine zwei Kilometer entfernt und würde selbst geschädigt.

Die Betreiberfirma Urenco hält den Betrieb für verantwortbar.

Das ist er aber nicht. Die Entsorgungsfrage ist völlig ungelöst. Große Mengen von abgereichertem Uranhexafluorid gehen nach Russland. Doch russische Umweltschützer bezweifeln wie wir, dass das Material dort, wie angekündigt, wieder angereichert wird. Vielmehr muss befürchtet werden, dass der Atommüll irgendwo in Russland illegal entsorgt wird. Erst am 19. April ist von Gronau wieder ein Transport mit rund 1.000 Tonnen Uranhexafluorid in Richtung Russland abgefahren, und der wird St. Petersburg am 27., nur einen Tag nach dem 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe, erreichen. Dabei bezweifeln russische Umweltschützer, dass dieser Atommüllimport überhaupt durch russische Gesetze gedeckt ist.

Was genau passiert mit dem Gronauer Atommüll in Russland?

Theoretisch soll das abgereicherte Uran wieder so angereichert werden, dass es wie Natururan einen Anteil von 0,7 Prozent des Uranisotops U235 enthält. Und dann soll es wieder zurück nach Gronau kommen. Doch selbst Urenco als Betreiber will nicht bestätigen, dass dies auch wirklich so geschieht. Wir befürchten deshalb, dass der Atommüll den Leuten in Russland irgendwo vor die Füße gekippt wird. Stattdessen können andere Altbestände, etwa militärisches Material, nach Gronau zurückgeliefert werden. Dieses militärische Altmaterial könnte mit anderen nuklearen Spaltprodukten wie etwa Technetium verseucht sein. Und dafür sind die Sicherheitsstandards hier in Gronau erst recht nicht ausreichend.

Und die Urenco übernimmt keine Garantien für die sichere Wiederanreicherung in Russland?

Nein! Als Gronauer Stadtrat habe ich verschiedene Anfragen gestellt. Der Geschäftsführer der hiesigen Anlage antwortete mir nur, er wisse nicht genau, was in Russland mit dem Uran geschieht. Er werde sich aber erkundigen. Auf eine Antwort warte ich noch heute. Außerdem ist auch der Abbau des Grundprodukts Natururan problematisch: Bergleute und Umwelt werden verseucht. Die Urananreicherung ist eben keine saubere Sache, wie die Urenco immer wieder behauptet.

Trotzdem gibt es keinen Aufschrei der Gronauer Bevölkerung.

Nein, denn die Firma macht von Anfang an eine massive Öffentlichkeitsarbeit, unterstützt Vereine, Firmen, Kirchen. Gerade die hiesigen Vereine kriegen von der Firma Urenco die dicken Spenden.

Die Gronauer sind also käuflich?

Das ist ein hartes Wort. Klar ist aber: Wer Geld von der Urenco nimmt, erhebt eben keinen Einspruch, beteiligt sich nicht an Widerspruchsverfahren gegen den Ausbau der Anlage. Auf der anderen Seite gibt es hier vor Ort seit Jahrzehnten Proteste, etwa den schon fast legendären Sonntagsspaziergang an jedem ersten Sonntag im Monat.