Angst vor neuer Hungersnot

NIGER Koordinator der UN: Lage ist schlimmer als 2005. Acht Millionen Menschen brauchen Hilfe. Nahrungs- mittel auf den Märkten sind unbezahlbar

Mehr als 1,2 Millionen Kinder sind laut Save the Children bereits unterernährt

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Fünf Jahre nach der Hungersnot in Niger droht dem Sahelstaat eine neue Krise. „Die Lage ist bereits jetzt schlimmer als 2005“, glaubt der UN-Sonderbeauftragte für humanitäre Hilfe, John Holmes, der gerade aus Niger zurückgekehrt ist. In weiten Teilen des Landes sei die gesamte Ernte ruiniert, gut acht Millionen Menschen – sechzig Prozent der Bevölkerung – bräuchten umgehend Hilfe. „Wir sind diesmal besser vorbereitet, deshalb hoffe ich, dass das Schlimmste vermieden werden kann“, so Holmes. „Und wir haben diesmal die Unterstützung der Regierung.“ Dass es sich bei der Regierung um eine Militärjunta handelt, die sich Mitte Februar an die Macht geputscht hat, spielt für Holmes keine Rolle. Immerhin bestand eine der ersten Amtshandlungen von Putschistenchef Salou Djibou darin, den humanitären Ausnahmezustand zu erklären.

Die Fernsehbilder aus Niger, die vor fünf Jahren um die Welt gingen, lösten Entsetzen aus: Kinder mit aufgeblähten Bäuchen und abgemagert zu Skeletten sitzen reglos zwischen totem Vieh. So etwas hatte man zuletzt 1984 in Äthiopien gesehen. Kaum jemand half, vor allem deshalb, weil die Regierung des damaligen Präsidenten Mamadou Tandja immer wieder beteuerte, dass es keine Krise gebe.

Als die Hilfe zugelassen wurde, kam sie oft zu spät. „Diesmal sind mehr Organisationen in Niger aktiv“, erklärt Gianluca Ferrera vom Welternährungsprogramm (WFP) in Nigers Hauptstadt Niamey. „Außerdem funktioniert unser Frühwarnsystem.“

Nach drei schlechten Ernten in Folge und zuletzt ganz ausgebliebenen Regenfällen im vergangenen Jahr sind Silos und die meisten Felder leer. Während die Preise für Getreide und Gemüse auf den Märkten um mehr als ein Drittel gestiegen sind, sind die Löhne auf dem Land um die Hälfte gesunken: Zu viele Farmarbeiter konkurrieren um eine der knappen Arbeitsmöglichkeiten.

Weil Viehzüchter in Panik versuchen, ihre Rinder zu verkaufen, bevor sie verdursten, sind auch die Preise auf den Viehmärkten dramatisch gefallen. Rinder stellen für die meisten Nigerer die einzige Form von Ersparnis dar. Der Preisverfall hat sie über Nacht arm werden lassen. „Kaufkraft ist ein Kernindikator für Nahrungssicherheit“, sagt Malik Allaouna, Regionaldirektor des Kinderhilfswerks Save the Children. „Ernteausfälle alleine liefern noch kein komplettes Bild der Lage.“

Auf vielen Märkten gibt es Lebensmittel, nur kann sie sich niemand leisten. Allaouna hält deshalb die reine Verteilung von Hilfsgütern für eine zweifelhafte Antwort. „Wir brauchen Aktivitäten, mit denen die Leute Geld verdienen können.“

Bedroht von der Hungersnot sind vor allem Kinder. Mehr als 1,2 Millionen sind laut Save the Children bereits unterernährt, jedem dritten droht der Hungertod. Die staatlichen Krankenhäuser sind außerstande, Mangelernährung zu behandeln. UN und Hilfsorganisationen fehlen noch mehr als 100 Millionen Euro, um ausreichend zu helfen.