Der Ort der Täter

STAATSAKT DER ERINNERUNG Die Stiftung Topographie des Terrors in Berlin kann endlich ihr neu gebautes Dokumentationszentrum eröffnen

■ Morgen eröffnet Bundespräsident Horst Köhler den Neubau des NS-Dokumentationszentrums.

■ Ab Freitag, 7. Mai, ist täglich von 10 bis 20 Uhr die Dauerausstellung „Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße“ geöffnet. Ebenso die neue Bibliothek.

■ Zugänglich ist ab Freitag auch der Geländerundgang „Der historische Ort“ in 15 Stationen.

■ Erst im Spätsommer 2010 zeigt der Ausstellungsgraben Exponate.

■ 2011 widmet sich eine Sonderausstellung dem Eichmann-Prozess.

■ Infos: www.topographie.de

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die Adresse Prinz-Albrecht-Straße 8, in unmittelbarer Nähe des Berliner Regierungsviertels, war ein gefährlicher Ort. Im Mai 1933 bezog die von den Nazis geschaffene Gestapo die Räume des wuchtigen Stadtpalais. Ein Jahr später verlegten Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich ihre Dienstsitze auf das Gelände. Vom Prinz-Albrecht-Palais und seinen Nachbargebäuden aus organisierten die SS, Gestapo, der SD und die Sicherheitspolizei bis 1945 die Unterdrückung, Ausbeutung, Deportation und Vernichtung von Millionen Menschen in Deutschland und in den kriegsbesetzten Ländern. NS-Gegner wurden im „Hausgefängnis der Gestapo“ verhört, gequält und umgebracht. Der Ort war die „Macht- und Schaltzentrale des SS-Staats“, wie der Historiker Reinhard Rürup die Adresse einmal bezeichnete.

65 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur gleicht das einstige sogenannte Gestapo-Gelände noch immer einem Unort im Berliner Stadtgrundriss. Wenn am Donnerstag Bundespräsident Horst Köhler in einem Staatsakt den Neubau des NS-Dokumentationszentrums Topographie des Terrors eröffnet, tangieren die neue Architektur weiter Brachland, ein Robinienwäldchen, dazu aufgerissene Kellerfragmente und Gräben, die jetzt gut konserviert sind. Ein Weg durchzieht das Areal mit Hinweistafeln zu seiner Zerstörung im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Zusammen bilden sie die Dominate auf der 4,5 Hektar großen Fläche an der Niederkirchnerstraße in der Mitte der Hauptstadt.

Das wichtigste Museumsprojekt der Republik im Jahr 2010 dagegen rangiert als Beiwerk. Wer nach fast 20 Jahren Planung für das NS-Dokumentationszentrum, Bauskandalen, Kostenexplosionen, einem abgerissenen Rohbau des Schweizer Architekten Peter Zumthor und drei Jahren Bauzeit für das neue, 25 Millionen Euro teure Haus der Architektin Ursula Wilms etwas anderes als einen einstöckigen quadratischen Glas-Metall-Kubus erwartet hat, wird enttäuscht.

Das alles ist selbstverständlich kein Zufall, sondern Absicht. Ausdrücklich hatte die Stiftung ein schlichtes Bauwerk gefordert, auch um den Kontrast zur aufgerissenen Stadtlandschaft weiter zu betonen. „Die offene Wunde“ bildet seit den Anfängen der „Topographie“ 1987 gleichsam die programmatische Chiffre für die Stiftung und ihre Akteure, um den spezifischen „Ort der Täter im historischen Gedächtnis“ Berlins verankern zu können, wie Andreas Nachama, Direktor der Stiftung, es formuliert.

Das Vergessen gepflegt

Spiegelte sich diese Verankerung von Raum und Zeit bis zum Beginn der Bauarbeiten 2006 direkt und ausschließlich draußen auf dem Gelände – besonders im „Ausstellungsgraben“ –, so ist die Open-Air-Schau jetzt aus den Kellerfragmenten heraus und in den Neubau gewandert. Die Biografien von Hitlers Mordgesellen und der Aufbau des SS-Machtapparats sind dort an Schautafeln aufgespannt. Die Ermordungen von Frauen, Kindern und Alten schockieren, ebenso wie die Briefe und Berichte der Opfer und Gequälten im Palais Prinz Albrecht: darunter Kurt Schumacher oder Ernst Thälmann.

In den frisch renovierten Graben gewandert und über das Gelände verstreut sind dagegen Dokumente von der Wirkungsmacht der Terrorzentrale auf die Stadt und über die jüngere Geschichte des Ortes selbst. Während Bertolt Brecht sich nach dem Krieg die Folterkeller noch zeigen ließ, setzte das Nachkriegsberlin alles daran, den Ort schnell in Vergessenheit geraten zu lassen. Die baulichen Reste des Palais wurden nach 1950 abgerissen und entsorgt. Die Natur eroberte sich im Schatten der Mauer das Gebiet ab 1961 zurück. Noch bis in die 70er- und 80er-Jahre war den meisten Berlinern nicht bewusst, wer hier einst logierte. Das Gelände nutzte das Berliner Original „Strapsharry“ als Autodrom.

Es erscheint aus heutiger Zeit kaum nachvollziehbar, dass dieser Ort der Täter nahezu vergessen war und erst von einer Bürgerinitiative in den 70er- und 80er-Jahren freigelegt wurde. Die Wiederentdeckung des „verdrängten“ Geländes ist deshalb von besonderer Bedeutung für die Topographie des Terrors.

„Der authentische Ort ist unser wichtigstes Exponat“, erklärt Nachama bis heute. Genau dies könnte mit der Eröffnung des Neubaus nun verloren gehen. Zwar werden die Stiftung und Berliner Kulturpolitiker nicht müde zu behaupten, dass der unprätentiöse Würfel von Wilms in seiner zurückhaltenden und transparenten Art genau die richtige Antwort auf die Strahlkraft der Topographie draußen sei. In der Tat verlängert sich das brüchige Gelände an fast jeder Stelle des großen Ausstellungssaals und der Vortragsräume durch die Scheiben und das Metallgitternetz vor der Fassade in das Hauptgeschoss hinein.

Verlust der Ausstrahlung

Trotzdem wird jetzt der Dialog zwischen Ausstellung und authentischem Ort gestört. Denn mit der musealen Hereinnahme der kaum veränderten Open-Air-Schau in das neue Gebäude hat die Stiftung ein stimmiges und erfolgreiches Konzept aufgegeben. Im Haus fremdeln die unglaublichen Morddokumente, was sie im Freien weniger taten. Diese Veränderung ist umso verwunderlicher, hat doch die Topographie ihre Überzeugungskraft aus diesem städtischen und geistig-moralischen Trümmerfeld bezogen. Über 500.000 Besucher kamen gerade deswegen an diesen Ort.

Heute scheint es kaum nachvollziehbar, dass der Ort der Täter nahezu vergessen war

Umgekehrt hätte sich die Stiftung mit dem Neubau auf ein klares, neues Design und eine veränderte Konzeption und Handschrift einlassen müssen. Warum dieser Schnitt so beharrlich vermieden wurde, bleibt ebenfalls unklar, da der Wilms-Kubus seine modernen Qualitäten innen durchaus fassbar werden lässt. Auf 1.900 Quadratmeter Fläche weiten sich schöne, offene Ausstellungshallen und Vortragsräume, die sich mit der Bibliothek im Untergeschoss um einen Lichthof gruppieren. Hier wäre der Raum für die großen Themen und Sonderschauen, wenn man der Topographie eine neue Richtung und sie in die Zukunft weiterdenken will.

Das unmittelbare Konzept aus der Ära der Stadthistoriker, Bürgerinitiativen oder Geschichtswerkstätten trägt an dieser Stelle noch aus einem anderen Grund nicht. Im Zeitalter der Erinnerungskultur und des kommerzialisierten Geschichtsbooms stellen Besucher neue Fragen an ein Museum und erwarten andere Antworten. Wenn die Stiftung es richtig findet, dass die Ausstellung im Haus unterkühlt und „ohne große Zahl von Leichenbergen“ daherkommt, so ist das zwar aller Ehren wert, sie reflektiert aber nicht, wie sich die Fragen der Gesellschaft nach der Vergangenheit verändert haben.

Letztendlich vergibt das NS-Dokumentationszentrum durch den Verzicht auf eine größere Ausstrahlung auch eine Chance. Es hält – wegen seiner selbst verordneten Blässe – keinem wirklichen Vergleich mit den anderen NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorten wie dem Holocaustmahnmal oder dem Jüdischen Museum stand.

Dass angesichts solcher Fragen der lange Schatten des Architekten Zumthor mit seiner 1994 geplanten und 2004 gestoppten und eingestampften Vision eines langen filigranen Stabwerks aus Betonstelen wiederauftaucht, wird sicher Berlin und die Stiftung etwas ärgern. Man wird sich auch daran erinnern, dass der damalige wissenschaftliche Leiter der Stiftung, Reinhard Rürup, wegen Zumthors Aus von seinem Amt zurücktrat. Sah er doch in dem Abriss eine ästhetische und inhaltliche Herabsetzung des Projekts. Denn Zumthors Planung wollte genau die neuen Zusammenhänge zwischen modernem Bauwerk, Ausstellungskonzept und bestehendem Gelände zum Ausdruck bringen.

Die Stiftung Topographie des Terrors sollte, nachdem der Jubel zur lang ersehnten Eröffnung des Neubaus und der Neugestaltung abgeflaut ist, ihr Verhältnis zur eigenen Geschichte und zu den anderen Berliner Gedenkorten noch einmal neu vermessen. Der Bau und der Ort brauchen diese Chance. Es wäre schade, wenn das kleine Quadrat in der Berliner Erinnerungslandschaft nur Beiwerk bliebe.