Assad bleibt im Libanon am Drücker

Ein Jahr nach dem Abzug der syrischen Truppen wollen die politischen Eliten heute über die Zukunft von Präsident Lahoud entscheiden. Der pro-syrische Staatschef will nicht freiwillig abtreten. Bislang unterstützen ihn die schiitischen Parteien

Von der Euphorie des „Beiruter Frühlings“ ist nichts mehr zu spüren

AUS BEIRUT MARKUS BICKEL

Die Stimmung zum Jahrestag konnte schlechter nicht sein. Statt den Abzug der syrischen Truppen zu feiern, die den Libanon vor zwölf Monaten nach fast drei Jahrzehnten Militärpräsenz verlassen hatten, legten die politischen Führer der antisyrischen Allianz am Mittwoch Blumen an den Gräbern ihrer Kampfgefährten nieder: Neben Expremier Rafik Hariri, dessen Tod bei einem Sprengstoffanschlag im Februar 2005 die Protestwelle gegen die syrische Protektoratsmacht ausgelöst hatte, kamen auch die Publizisten Samir Kassir und Gibran Tueni sowie der Chef der Kommunistischen Partei, Samir Hawi, bei Autobombenexplosionen ums Leben.

Insgesamt starben bei den 14 Anschlägen im Jahr des Rückzugs der syrischen Armee aus dem einstigen Bürgerkriegsland 33 Menschen, dutzende wurden verletzt. Bis heute konnte keiner der Morde aufgeklärt werden, doch der Verdacht, dass syrische Geheimdienstmitarbeiter auch nach dem Abzug der zuletzt 14.000 Mann starken Einheiten ihre Finger im Spiel hatten, liegt auf der Hand. „Ein erster Vergleich der vorhandenen Informationen hat bestimmte Ähnlichkeiten zwischen den Anschlägen zutage gebracht“, heißt es im jüngsten Bericht des belgischen UNO-Sondermittlers Serge Brammertz, der neben dem Attentat auf Hariri auch die anderen politischen Morde untersucht.

Knapp 30 Jahre nachdem der damalige libanesische Präsident Suleiman Frangie seinen syrischen Kollegen Hafis al-Assad im Juni 1976 um die Entsendung von Truppen gebeten hatte, ist der Einfluss aus Damaskus auf den Libanon weiterhin gewaltig. Von der Aufbruchsstimmung des „Beiruter Frühlings“, als hunderttausende für die Souveränität des Viermillioneneinwohnerlandes auf die Straße gingen, ist ein Jahr später nichts mehr zu spüren. Die antisyrische Allianz um Hariris Sohn Saad, den Chef der Progressiven Sozialistischen Partei (PSP), Walid Dschumblat, und den rechtsgerichteten Exmilizenführer Samir Geagea versäumte es, den Rückhalt der Demokratiebewegung zu nutzen, um den Sturz des prosyrischen Präsidenten Emile Lahoud durchzusetzen.

Zwar stellt das nach dem Datum der größten Massendemonstration benannte „14.-März-Bündnis“ seit den Parlamentswahlen im vorigen Sommer die Regierung. Doch um Lahoud durch ein Amtsenthebungsverfahren zu Fall zu bringen, sind Premierminister Fouad Siniora, Hariri und Dschumblat auf Stimmen der schiitischen Parteien Hisbollah und Amal angewiesen. Und die behindern beharrlich einen bindenden Beschluss über die Zukunft Lahouds, der im Herbst 2004 nur aufgrund einer von Syriens Präsident Baschir al-Assad durchgesetzten verfassungswidrigen Amtsverlängerung seinen Posten behalten konnte.

Heute nun will der im März vom schiitischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri (Amal) einberufene „nationale Dialog“ der wichtigsten libanesischen Politiker endlich entscheiden, ob Lahoud zum Rücktritt gezwungen werden soll – oder ob der 70-jährige katholische Maronit bis zum Ende seiner Amtszeit im September nächsten Jahres im Präsidentenpalast im Ostbeiruter Stadtteil Baabda bleiben darf. Freiwillig gehen wird er nicht.

Und selbst wenn er wollte, hat Damaskus auch in dieser Frage wohl immer noch das letzte Wort. „Er ist nicht frei, zurückzutreten“, erklärte Premier Siniora Anfang der Woche in Washington nach einem Treffen mit US-Präsident George Bush unter Verweis auf den anhaltenden syrischen Einfluss. Die einstige Protektoratsmacht, so der 63-jährige Sunnit, organisiere ihre „Truppen neu, um die Regierung anzugreifen und die Mehrheit daran zu hindern, den nötigen Wandel durchzusetzen“. Gute Karten für Lahoud, schlechte für Siniora und seine Verbündeten.