Kurssturz bei Verschmutzungsrechten

Die Preise von CO2-Zertifikaten kollabieren. Der Zertifikate-Markt reagiert auf ein Überangebot, weil die Emissionen in der EU bis zu 15 Prozent unter den Schätzungen liegen. EU-Staaten haben zu viele Zertifikate verschenkt. Strompreis könnte sinken

AUS STOCKHOLMREINHARD WOLFF

Die Strompreise könnten zur Abwechslung einmal sinken, wenn sich der Preissturz für Verschmutzungsrechte an den europäischen Strombörsen festigt. An der Leipziger Strombörse (www.eex.de) war die Lizenz zur Emission von 1 Tonne CO2 noch am Montag dieser Woche mit knapp 30 Euro gehandelt worden. Am Donnerstag sackte er bis auf 13,50 Euro ab und lag gestern Nachmittag bei 14 Euro. Zeitgleich sackten die Preise an der skandinavischen Strombörse Nordpool in Oslo in den Keller. Auch der Strompreis gab dort nach: Gestern lag er 20 Prozent unter dem Wert der vergangenen Woche.

Im Verlauf des Kioto-Abkommens wurden die Rechte zur Verschmutzung des Klimas durch das Klimagas Kohlendioxid zu einer Handelsware gemacht. Seit 2005 benötigen EU-weit 12.000 Stromproduzenten und Industriebetriebe für jede emittierte Tonne CO2 ein Zertifikat.

Mit dem Start dieses Systems wurden an die Industrie insgesamt 2,19 Milliarden Zertifikate überwiegend kostenlos ausgeteilt. Dieses Volumen entsprach etwa den aktuellen Emissionen. Unternehmen, die weniger CO2 an die Atmosphäre abgaben als geplant, konnten die dann frei gewordenen Zertifikate auf dem Markt anbieten. Der Handel funktionierte so lange, wie die tatsächlichen Emissionsmengen nicht bekannt waren. Angesichts gestiegener Ölpreise und des kältebedingten hohen Kohleverbrauchs rechneten die Firmen mit einer Knappheit an Emissionsrechten. Ihr Preis verdreifachte sich in letzter Zeit.

Doch die Papiere wurden offenbar zu großzügig von den Regierungen verteilt. Der Preis kollabierte, nachdem die EU-Staaten nun ihre tatsächlichen Emissionen bekannt geben. Bis zum 15. Mai müssen sie die freigesetzten CO2-Mengen des vergangenen Jahres bei der EU-Kommission melden.

Tschechien emittierte mit 83 Millionen Tonnen 15 Prozent weniger CO2, als es Emissionsrechte besitzt. Ähnliche Zahlen kommen aus Frankreich, den Niederlanden und der belgischen Region Wallonien, mit jeweils 11,8 und 15 Prozent unter der Landesquote. Deutschland, das über ein Viertel aller EU-Zertifikate verfügt, hat noch keine Zahlen vorgelegt. Auch Großbritannien, Italien und Polen geben ihre Zahlen noch bekannt. Die Bilanzen dieser Länder dürften für die weitere Preisentwicklung bei Emissionszertifikaten und damit auch für den Strompreis entscheidend sein.

Stromhändler Heine Rønningen von der Osloer Strombörse Nordpool kann sich dies nur mit einem „großen Bluff“ erklären. Der Zertifikatehandel sei durch eine wirtschaftlich wie ökologisch allzu großzügige Vergabe von Emissionsrechten in die aktuelle Krise geraten. Das ganze Quotensystem laufe Gefahr zu kollabieren, „denn es funktioniert nicht, wenn die Länder plötzlich massiv unter den selbst verteilten Quoten liegen“. Rønningen kann sich diese Entwicklung nur durch absichtliche Fehler bei der Berechnung der Ausgangsquoten erklären.