Zebu-Wisch-und-weg

Shakespeares universelle Menschheitsdramen riefen schon immer zu vielfältiger Aneignung auf. Das Programm „Shakespeare+Film“ zeigt aktuelle Adaptionen aus Madagaskar, Neuseeland und Indien

VON BERT REBHANDL

Sein Name stehe für „das Unendliche“. Das hat Jorge Luis Borges, der gelehrte Weltliterat aus Argentinien, über Shakespeare gesagt. Tatsächlich gibt es kaum einen Schriftsteller, der in ähnlicher Weise über die Zeiten und die Kulturen hinweg gewirkt hat. Seine Stücke wurden von Akira Kurosawa und von Max Reinhardt verfilmt. Marlon Brando zeigte in „Julius Caesar“, dass man große Monologe auch murmeln kann, und Orson Welles widmete seine halbe Karriere dem Werk des großen Dramatikers: „Shakespeare sagte alles: vom Hirn bis zum Bauch; jede Stimmung, jede Minute der Lebenszeit eines Menschen. Seine Worte marschieren wie Herzschläge.“ Eine kleine Filmschau demonstriert nun mit drei aktuellen Arbeiten, dass „Shakespeare+Film“ immer noch zusammengehören – und zwar über die Grenzen der dominierenden Filmindustrien hinaus.

Bei aller „Unendlichkeit“: Shakespeare ist ein dezidiert westlicher Klassiker – und kann eben vor diesem Hintergrund auch benutzt und angeeignet werden. So macht es der neuseeländische Film „The Maori Merchant of Venice“ (2001) von Don C. Selwyn: Schon die Übersetzung der englischen Vorlage – in der ganzen Welt deutlich mit Hochkultur assoziiert – in ein lokales Maori-Idiom ist ein Akt der Aneignung. Und Shakespeare lässt sich gut von minoritären Gruppen in Anspruch nehmen und bekräftigt qua seiner Autorität ein Recht auf Repräsentation. Wenn Maori sich mit einem westlich geprägten Regisseur als ihrem Vertreter in diese Geschichte aus England einschreiben, wird auch Shakespeare zu einem Anwalt und sein Stück zu einem universell einsetzbaren Instrument im Kampf nach Anerkennung.

Eine eigenständigere Form der Aneignung passiert in „Makibefo“ (2000), einer „Macbeth“-Version aus den Dünen von Madagaskar. Alexander Abela hat hierfür mit dem Volk der Antandroy gedreht, das vorwiegend als Fischer an der Südspitze von Madagaskar lebt. Das Rauschen der Wellen eröffnet den Film. Ein Mann nimmt einen Folianten zur Hand und eröffnet das Stück, als wäre es die Oral History seines Volks. Erbfolgeintrigen, ein Königsmord, ein zur Neurose gerinnendes schlechtes Gewissen: Wie gut passt dieses Stück in eine traditionelle Gesellschaft, in der Sukzession tatsächlich noch eine wichtige Rolle spielt. Gerade indem „Makibefo“ das Stück sehr orthodox und nah an der literarischen Vorlage umsetzt, bekommt der Film seine ethnografische Beschreibungsdichte. So trägt König Makibefo die Herrschaftsinsignien seines Volkes – ein kleines Hütchen auf der Stirn –, und die Opferung eines Zebuochsen passiert ohne Angst vor einem Tabubruch vor laufender Kamera. Nur das beständige Rauschen des Meeres und das von der Sonne fahle Schwarzweiß erinnert ab und an daran, dass die Geschichte ursprünglich im regnerischen Schottland spielt. Deutlich aber wird auch hier wieder der tatsächliche Shakespeare-Universalismus: In „Makibefo“ setzt das kleine Gemeinwesen nach dem Königsmord die Erbfolge neu an und findet damit die Stabilität wieder, die ihr Fortbestehen garantiert.

Ein Schwarzer inmitten der venezianischen Renaissance-Gesellschaft: In Shakespeares „Othello“ brechen kulturelle Differenzen besonders tragisch auf. Orson Welles hat sich in dieser Rolle zum Außenseiter des Weltkinos stilisiert. Roysten Abel hat mit seinem indischen Film „In Othello“ (2003) das Eifersuchtsdrama noch zusätzlich verkompliziert: In dem Film geht es um eine Theaterinszenierung von „Othello“ – und darum, wie die Shakespear’schen Figurenkonstellationen nach und nach auch das reale Leben der Schauspieler beeinflussen.

Was dabei herauskommt, ist eine etwas verquaste Variation des Mottos „Schauspielerei ist, mit der Wahrheit zu lügen“, die darüber hinaus noch zu stark mit postkolonial gefärbter Klassenanalyse angereichert wird. Denn der Theatermacher hat die Titelrolle mit einem unerfahrenen Schauspieler aus der indischen Provinz besetzt. Wie der „originale“ Othello hat auch dieser Schauspieler einen kulturellen Nachteil – er kennt die Regeln des Gesellschaftsspiels (des Theaters) nicht gut genug.

Roysten Abel wendet das Problem von Sein und Schein, das der Intrigant Jago in das Shakespeare-Stück hineinträgt, auf das Verhältnis zwischen Kino und Theater an. Zusätzliche Ironie gewinnt dieser indische „Othello“ durch die Kolonialgeschichte: Der Nationaldichter der Engländer hat auch für Indiens Bildungselite die Funktion, die Unterschicht weiterhin im Objektstatus zu belassen. „In Othello“ schwelgt allerdings in allen möglichen Klischees über das Schauspiel und vergibt so als selbstgefälliges Theaterexperiment die Chance auf ein intimes Drama. Aber erleichtert stellt man fest: Auch mäßig gelungene Verfilmungen können Shakespeares „Unendlichkeit“ nicht allzu viel anhaben.

„Shakespeare+Film“ ab Donnerstag in Berliner Programmkinos; Infos: www.shakespeare-und-film.de