WIMMELBILDER VOM KOLLWITZPLATZ
: In der Idylle gefangen

VON JÖRG SUNDERMEIER

BERLIN AUF BLÄTTERN

Wer samstags die Wochenendbeilage der Berliner Zeitung liest, kennt sie: drei bunte Luftballons, ein Straßenschild, eine Wolke oder eine Sonne. Sie werden Woche um Woche neu gezeichnet und sind doch immer gleich. Das ist das Logo der Kolumne „Die Mütter vom Kollwitzplatz“.

Olaf Schwarzbach, der unter dem Kürzel OL publiziert, zeichnet diese Cartoons, die, neben dem oben beschriebenen Logo, nur aus einem einzigen Bild bestehen. OL, der in der Nachbarschaft wohnt, vollzieht nach, wie sich der Kollwitzplatz, von dem es heißt, es sei der kinderreichste Ort Deutschlands, in den letzten Jahren entwickelt hat: weg von der Bevölkerung, die man hier 1990 noch antreffen konnte, hin zu einer sich selbst für hip haltenden Mittelklasse, die alles, was nicht in ihr blitzsauberes Weltbild passt, für übergriffig hält. So jedenfalls das Klischee.

Auf der Grundlage dieses Klischees macht OL Witze, die übers Klischee hinausgehen. Doch zunächst zum Klischee. Bei OL sagt eine Mutter zur anderen: „Ich mag Männer mit Glatze, die haaren einem nicht so das Sofa voll.“ Selbstredend behandelt OL die Patchworkfamilie („Und? Bist du immer noch mit denselben Eltern zusammen?“), den Gesundheitswahn („Mein Vater ist Lehrer.“ – „Meiner Bio-Lehrer!“) und die Schwabenplage („Und, weischd scho, was es wird bei dir?“ – „Koi Ahnung, Hauptsach, der Bub isch gsond!“). Doch so sehr OL Witze oder Kalauer produziert, die Bilder bieten mehr.

Das nun gerade erschienene Buch „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ zeigt dies eindrücklich, auch wenn die „Mütter“-Cartoons aufgelockert sind durch thematisch passende Bildwitze und einige „Jürgen, der Trinker“-Cartoons. So sagt eine Mutter: „Anna-Silke hatte ihr erstes Baby-Fon mit fünf Wochen.“ Auf dem Bild sieht man Mütter auf einem Spielplatz, die ihr Smartphone nutzen. Dazwischen Kinder, die für sich allein spielen, vereinsamt. Die Bilder im Querformat präsentieren den Kollwitzplatz wie mit dem Weitwinkelobjektiv fotografiert.

Ungewöhnlich ist die Liebe zum Detail, mit der OL agiert, und mit der er seine Witze in ein Umfeld setzt, in dem sie mehr sind als nur Gags – seine Spielplätze sind Wimmelbilder, die Häuser und Bäume wiedererkennbar, die Herbstlandschaften aufwendig gezeichnet. Man merkt, dass ein Zeichner mit Zeichnerehre und Kunstvermögen am Werk ist, der weit mehr machen will, als nur eine Zote zum Besten zu geben.

OL erzählt vom ganzen Prenzlauer Berg, indem er sich einen exemplarischen Ausschnitt vornimmt, und während er – teilweise eher tagesaktuell – seine Figuren dummschwätzen lässt, sieht man auf den Bildern die tristen Parkbuchten, die merkwürdig enge Parkanlage, die durchstandardisierten Fassaden, in denen die Bio-FDP-Wähler leben, über die er sich lustig macht. Und die er traurig zeigt.

Das ist der Sinn hinter seinen Witzen, das ist, was die wunderbare Annett Gröschner in ihrem Vorwort ebenfalls ausführt: Am Kollwitzplatz wurde ein Idyll errichtet, das nicht nur andere terrorisiert, sondern auch die Terroristen selbst gefangen hält.

■ OL: „Die Mütter vom Kollwitzplatz“. Lappan Verlag, Oldenburg 2013, 112 Seiten, 14,95 Euro