Widerhaken und harmlose Opulenz

Zum Zehnjährigen choreografiert Daniel Goldin einen opulenten Ravel-Abend in Münsters Großem Haus

Spartenübergreifendes hat Daniel Goldin an den Städtischen Bühnen Münster schon mehrfach produziert. Zu seinem zehnjährigen Jubiläum als Leiter des Tanztheaters steigert er das in neue Dimensionen. Für die Ravel-Inszenierung „L‘espace de Ravel/L‘Enfant et les Sortilèges“ vereint er 16 TänzerInnen, 21 SängerInnen, Symphonieorchester, Chor und Kinderchor.

Der Argentinier Daniel Goldin wurde in Buenos Aires zum Schauspieler und Tänzer ausgebildet, war unter Pina Bausch Mitglied des Essener Folkwang- Tanzstudios. Seine Choreografie ist melancholisch grundiert, beeinflusst vom deutschen Ausdruckstanz, vom „Folkwang-Stil“ und nicht zuletzt von seiner Herkunft als Südamerikaner mit jüdisch-ukrainischen Vorfahren.

So begann er sein Engagement im Herbst 1996 in Münster dann auch mit „Papierne Kinder“, einem zuvor schon in Krefeld uraufgeführten „choreographischen Roman“ über jüdische Emigration. Herausragende Uraufführungen waren seitdem das traumartige „Hinter der Nacht“, „Lachrimae mundi“ nach der Musik John Dowlands, Heiner Müllers „Hamletmaschine“ oder die im flachen Wasser getanzten „Brahms.Variationen“.

„L‘espace de Ravel“ reiht drei melancholische und oft dissonante Walzer aneinander, die sich kontinuierlich ins Rauschhaft-Orchestrale steigern. Das Ensemble tanzt das zunächst ausgesprochen klassisch. Doch dann ist es spannend zu sehen, wie Widerhaken, Goldin-typische Bewegungsmuster – erbebende Körper, serielles Wippen in den Hüften – eingestreut werden, ohne die dichte Interpretation der Musik zu verlassen.

Es folgt Maurice Ravels Märchen-Oper „L‘Enfant et les Sortilèges“. Für Adorno ein Meisterwerk, war sie 1926 in Paris ein Skandal, weil sie Monteverdi-Artiges in Lautmalerisches, Belcanto in Jazz, Modetänze in Richtung Puccini kippen lässt. Nur, inzwischen wirkt das doch ziemlich konventionell, vor allem das Libretto der Schriftstellerin Colette: Ein „unartiges Kind“ zerstört im Zorn Schulhefte, sein Märchenbuch, Teegeschirr und Möbel, verletzt Bäume, quält Tiere und wird von „Maman“ in sein Zimmer eingesperrt. In seinen (Alb-) Träumen beginnt die „Zauberei“, die Dinge werden lebendig, Tiere und Pflanzen sprechen. Sie konfrontieren das Kind mit seinen Taten, die es schließlich bereut. Es ruft nach der Mutter.

All das wird von Goldin mit großer Opulenz und überbordender Detailfülle inszeniert. Beeindruckend gelingt es ihm, SängerInnen und Chöre auch tänzerisch zu integrieren. Und doch bleibt das Ganze harmlos. Bei der Premiere gab es, vielleicht gerade deshalb, 15 Minuten Jubel im ausverkauften Großen Haus. Sicher auch Zeichen des andauernden Erfolgs Goldins in Münster – und gegen die im Rathaus grassierenden Spardebatten. MARCUS TERMEER

3. und 7. Mai, 19.30 Uhr