Selbstmord belebt das Geschäft


„Es ist für mich äußerst befriedigend, wenn alles wieder sauber ist“, sagt Antje Schendel. Weil dann das sichtbar Schreckliche besiegt sei

AUS KREFELD CHRISTIANE MARTIN

Das Geschäft mit dem Tod ist unappetitlich. Ganz besonders wenn sich Selbstmörder mit einer Schusswaffe das Leben nehmen oder Leichen längere Zeit unbemerkt in der Wohnung liegen und verwesen. Antje Schendel erfährt das täglich, denn seit knapp zwei Jahren führt die 34-Jährige in Krefeld ein Geschäft für „Tat- und Fundortreinigung“. Sie beseitigt die traurigen Hinterlassenschaften menschlicher Tragödien, steht Angehörigen zur Seite und nimmt ihnen, wenn auch nicht die Trauer, so doch wenigstens das Grauen.

„Es macht mir nichts aus, ich ekle mich nicht davor“, sagt die junge Frau überzeugend gelassen. Sie trägt Jeans sowie eine weiße Bluse und sitzt bei Kaffee und Zigarette in ihrem stilvoll eingerichteten Wohnzimmer, das ihr auch als Büro dient. Die meiste Zeit arbeite sie ja eh außerhalb, so Schendel. Dort, wo die menschlichen Abgründe zu Tage treten. „Es gibt immer mehr Menschen, die einsam sterben, ohne dass es jemand bemerkt“, sagt sie. Dies sei ein gesellschaftliches Problem, das in den nächsten Jahren zunehmen werde. Und Selbstmörder – ja, die gebe es leider zu allen Zeiten. Ihre Geschäftsidee hält sie deshalb für zukunftsträchtig.

Bereits vor zehn Jahren hatte das ehemalige Fotomodel diesen Einfall. Ihr damaliger Lebensgefährte, der als Gebäudereiniger arbeitete, sollte einen Leichenfundort säubern und weigerte sich, dies zu tun. „Das fand ich so schrecklich“, sagt Antje Schendel und schüttelt den Kopf. Die Vorstellung, dass Angehörige das selbst machen müssen, motiviert sie heute noch. „Ich biete nicht einfach nur einen Reinigungsservice an. Das ist viel mehr. Ich will helfen, da sein, wenn es am nötigsten ist“, erklärt sie. Als die gebürtige Berlinerin vor sechs Jahren dem Mann, mit dem sie heute zusammenlebt, nach Krefeld folgte, erklärte sie ihre Modelkarriere für beendet und wollte sich beruflich neu orientieren. Sie arbeitete zunächst in einer auf Diabetespatienten spezialisierten Arztpraxis. „Da war ich oft mit Dingen konfrontiert, die nicht gut aussehen und auch nicht gut riechen, offene Füße beispielsweise“, erinnert sich Antje Schendel, lehnt sich zurück, kneift kurz die Augen hinter ihrer modischen Brille zusammen und sagt dann: „Ich wusste schon immer, dass ich so was kann.“

Wenn sie nochmal wählen könnte, würde sie Gerichtsmedizinerin werden. „Das interessiert mich einfach. Ich lese viel darüber. Keine Kriminalromane, sondern eher Fachliteratur über Kriminalstatistiken und so was“, sagt sie mit einem Lächeln und zuckt mit den Achseln. So sei das nun mal. Sie habe einfach dieses persönliche Interesse daran und könne auch nichts dafür, dass dies etwas sei, das anderen eher Schauer über den Rücken jagt.

Und nun hat sie dieses Interesse zum Beruf gemacht. Zwei bis drei Mal im Monat rufen bei ihr ein Hausverwalter, ein Bestattungsunternehmer oder die Kriminalpolizei an und bitten um ihre Dienste. Dann macht sie sich mit ihrem schwarzen Volkswagen auf den Weg quer durch NRW. „Zum Glück habe ich ein Navigationssystem. Ich kenne mich nämlich noch nicht so gut aus in meiner neuen Heimat“, sagt sie lachend und da hört man auch den leichten Berliner Akzent. Die Tatortbesichtigung unternimmt Antje Schendel immer allein. Als Erstes schaut sie sich an, was überhaupt zu tun ist, spricht mit den Angehörigen, macht ein Angebot. „Das ist oft fast schon eine seelsorgerische Aufgabe“, sagt sie über diesen Part ihrer Arbeit, der ihr sehr wichtig ist.

„Wenn sich einer mit einer Schrotflinte in den Kopf schießt, spritzen nun mal Blut, Gehirn und Knochen durch die Gegend“

Und dann geht es los: Luftdicht verpackt in einen blauen Schutzanzug, mit Atemmaske und Gummischuhen macht sie sich ans Aufräumen. Das, was sie an ihrer Arbeitsstelle vorfindet, übertrifft zwar oft die kühnsten Horrorfantasien Außenstehender, aber für Antje Schendel ist das ganz der normale Alltag. „Wenn sich einer mit einer Schrotflinte in den Kopf schießt, spritzen nun mal Blut, Gehirn und Knochen durch die Gegend“, sagt sie lapidar.

Wenn sie das Gröbste beseitig hat, kommt sie oft ein zweites Mal und bringt Helfer mit: freie Mitarbeiter, die sie über das Arbeitsamt vermittelt bekommt oder Subunternehmen, die entrümpeln, Wände tapezieren und Fußböden erneuern. Oft muss zum Schluss dann noch der Geruch neutralisiert werden. Dazu versprüht Antje Schendel spezielle Chemikalien und verschließt den Raum 36 Stunden lang hermetisch. „Wir arbeiten so schnell es geht, damit die Wohnung oder das Zimmer bis zur Beerdigung wieder betretbar sind, denn manchmal kommen ja dann auch Gäste“, erklärt die Tatortreinigerin professionell. „Es ist für mich äußerst befriedigend, wenn dann alles wieder sauber ist“, sagt sie. Nicht weil sie einen Putzfimmel im herkömmlichen Sinne habe. Im Gegenteil – zu Hause putze sie eher ungern, wie die meisten anderen Menschen auch. Nein, weil das sichtbar Schreckliche dann besiegt sei. Irgendwann einmal möchte Antje Schendel ihr Geschäft deutschlandweit ausbauen und Filialen gründen. „Aber dazu muss es erst noch besser laufen“, sagt sie. Jetzt könne sie zwar ganz gut davon leben, aber für größere Investitionen reicht es nicht. Sie ist trotzdem zufrieden mit ihrem Leben. „Ich fühle mich jetzt so viel wohler als früher in der Glitzerwelt der Stars und Promis, als ich noch als Model gearbeitet habe“, sagt sie. Insgeheim habe sie sich immer nach einem ganz normalen bürgerlichen Leben gesehnt.

Das hat Antje Schendel jetzt, zusammen mit ihrem Lebensgefährten, ihrer 13-jährigen Tochter, der schönen Wohnung in Krefeld. Und ihrem Job, der auch ganz normal ist. Findet sie.