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„Das Lager ist die umzäunte Trostlosigkeit“

Der Politologe Wolf-Dieter Narr wohnte zwei Tage im März im Flüchtlingslager Bramsche, um die Menschenrechtslage zu prüfen. Sein Bericht ist alarmierend: Durch systematische Schikane würden die Insassen zur Ausreise getrieben

taz: Herr Narr, wie ging es Ihnen als Lagerbewohner auf Probe?

Wolf-Dieter Narr: Da ich wusste, dass ich nach zwei Tagen wieder herauskomme, machte mir das nichts aus. In einer Gruppe von verletzten und belasteten Menschen in einer Zwangssituation war ich ja ein freier Bürger.

Hatten Sie den Eindruck, dass das Lager auf Ihren Besuch vorbereitet war?

Ja, einige Insassen meinten, es gebe ausnahmsweise bestimmte Dinge zu essen wie Tomaten. Und bei der Essensausgabe würde das Personal extra Handschuhe tragen. Generell hatte ich aber nicht den Eindruck eines Potemkinschen Dorfes.

Haben Sie Verstöße gegen die Menschenrechte festgestellt?

Nein, nicht im unmittelbaren Sinn. Aber ganz klar in einem strukturellen Sinn. Etwa in der Weise, wie Familien untergebracht sind: In Räumen, wo nichts drin steht außer einem Schrank, Tisch, Betten und Stühlen. Um etwas Intimität zu schaffen, schirmen die Eltern ihre Betten durch den militärartigen Schrank ab. Weil es keine anderen Räume zum Spielen gibt, kommen vor allem bei den Kindern Aggressionen auf. Und je länger jemand im Lager lebt, desto größer das Leid: Wir haben eine schwangere Frau gesprochen, die schon zwei Jahre dort ist und eine Art Lagerkoller hatte. Wenn man das sieht, kriegt man einen riesigen Zorn.

Können sich die Menschen drinnen frei bewegen?

Drinnen wird nicht permanent kontrolliert. Aber jedes Haus hat einen Hauswart, der nach meinem Eindruck als Kontrolleur fungiert, auch wenn das vom Personal geleugnet wird.

Also eine Knast-Atmosphäre?

Nein, das ist es nicht. Es ist eine Atmosphäre, die freudlos und beengt ist. Zum Beispiel gibt es einen Saal, wo dreimal täglich für 90 Minuten Essen verteilt wird. Wenn man eine Minute früher kommt, ist noch zu, wenn man zu spät ist, wird man herauskomplimentiert. Der Raum ist so lieblos gemacht, dass man sowieso lieber schnell wieder geht. Eine Auswahl an Gerichten gibt es auch nicht. Die Bediensteten haben dagegen einen wunderbaren Raum mit schönem Ausblick, wo sie zwischen mehreren Gerichten wählen können.

Können sich die Leute denn woanders was zu Essen kaufen?

Nein, sie kriegen ja bestenfalls Taschengeld und es gibt auch keine Läden in der Nähe. Außer Spielflächen ist da nichts. In der Hinsicht ist das Lager die umzäunte Trostlosigkeit. Alles ist so eingerichtet, dass die Insassen täglich spüren, dass sie weg müssen und ein Verbleib ohnehin nicht attraktiv wäre. Extrem verstärkt wird der Druck noch durch die Hierarchie im Lager. Die Ausländerbehörde, die vor Ort ein Büro hat, steht über allem und übt den Zwang aus. Die Polizei ist durch sie sozusagen stets dabei.

Setzt sie die Menschen direkt unter Druck auszureisen?

Ja, massiv. Die Behörde drängt die Leute systematisch, Erklärungen zur freiwilligen Ausreise zu unterschreiben.

Und wenn sich jemand dagegen weigert?

Dann kommt es zu Kürzungen des Taschengeldes. Es gibt viele, die darum keines kriegen. Andere Sanktionen sind die Androhung von Abschiebehaft oder Einschränkungen für den Schulbesuch. Viele wollen ihre Kinder lieber nach Bramsche in die Schule schicken, weil im Lager täglich nur zweieinhalb Stunden eine sehr heterogene Gruppe unterrichtet wird. Das aber wird oft verweigert. Das Jammervolle ist, dass den Leuten Perpektiven versperrt werden. Das ist Methode, um die Insassen zur so genannten freiwilligen Ausreise zu treiben. Die ist eben billiger für den Staat als die zwangsweise Abschiebung. Fragen: Eva Weikert

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