Besetzung im Morgengrauen

Demonstranten steigen auf das Dach des Abschiebelagers Bramsche und fordern die Schließung. Die Beteiligung der Flüchtlinge am Protest ist gering – aus gutem Grund, wie die Lagerleitung findet

aus Bramsche Armin Simon

„Die haben uns überfallen.“ Für einen kurzen Moment mischt sich ein wenig Erregung in den Bericht des Pförtners. Es ist sieben Uhr in der Früh und die Frage des Kollegen lautet in etwa: Was war eigentlich los heute morgen? Der Pförtner des Abschiebelagers Bramsche lehnt sich wieder zurück in seinen Sessel. „Die sind auf den Dächern gewesen“, sagt er noch.

Dienstagmorgen, 5.30 Uhr, Ortsausgang Bramsche-Hesepe. Acht Autos rollen in Richtung Wald, vor der letzten Straßenbiegung kommt die Kolonne zum Stehen. 30 DemonstrantInnen springen heraus, eilen vor zum Tor der „Außenstelle der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde Oldenburg“, wie das Abschiebelager offiziell heißt. „Besucher haben sich anzumelden“, ruft der Wachmann, aber da halten die ersten bereits die Pforte auf. Gedränge, Gerangel, die Alu-Leitern sind drin, Kameras knipsen, „Peace, Peace“ beschwichtigt einer. Dann stehen Menschen in gelben Overalls auf dem Flachdach, halten Transparente in den Wind und das Megafon knarzt: „Das Lager muss weg.“ Die Wachleute rufen die Polizei.

Auch zehn BewohnerInnen haben sich eingefunden, zehn von 500, die ihrem Unmut laut Luft lassen. „Der harte Kern“, nennen sie die Pförtner. Michael Hana gehört dazu. Aus Palästina ist er geflohen, seit zwei Jahren wohnt er hier: Backsteinbau, Mehrbettzimmer, Verpflegung aus der Großküche. Über die Essensausgabe hat die Verwaltung eine Plexiglasscheibe montieren lassen: Zu viele Teller flogen hinüber, die Wut musste raus.

Bramsche ist ein ordentliches Lager. Der Rasen ist gepflegt, das Cotoneaster gestutzt, sogar einen Maibaum haben die lagereigenen Ein-Euro-Gärtner auf dem ehemaligen Kasernengelände aufgerichtet. Die Mülleimer an den Laternen sind mit gelbem Band beklebt. „Abfall“ steht darauf. Als der Demonstrationszug lärmend über das Gelände zieht, ruckeln vereinzelt die Gardinen. Zulauf gibt es keinen. Solche Demos hätten auch bisher nichts gebracht, sagt einer. Viele hätten auch Angst vor Repressionen. Hana bekommt noch am Nachmittag eine „Einladung“ aufs Amt. Gegen die auswärtigen BesucherInnen will die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstatten.

„Menschenunwürdige Zustände“ kritisierten Flüchtlinge und UnterstützerInnen im Dezember in einem offenen Brief: unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin, mangelhafte schulische Betreuung der Kinder. Lagerleitung und Landesregierung wiesen die Vorwürfe zurück. Die FDP-Landtagsabgeordnete Gabriela König, die der von ihrem Parteigenossen geleiteten Außenstelle unlängst einen Besuch abstattete, bescheinigte dem Personal herausragendes Engagement.

Hana hat damit seine ganz eigenen Erfahrung gemacht. „Die haben keinen Respekt vor uns, die sind total gegen uns“, schreit er, die Stimme schon ganz heiser. Er meint die Lagerleitung, die Ausländerbehörde. Die ihm nach seinem Auftritt auf einer Demonstration in Hannover mit Gefängnis gedroht habe. Und die ihm, als er am Freitag erneut um eine Reiseerlaubnis außerhalb des Landkreises nachsuchte, prompt die Aufenthaltserlaubnis verkürzte. Der 31-Jährige nestelt seinen Anorak auf, kramt in einer Tasche, zieht sein Passersatzpapier hervor. Gültig bis 8. Juni 2006 steht darauf. Der Sachbearbeiter hat das Datum durchgestrichen, am Freitag, und durch ein neues ersetzt: den 1. Mai 2006. „Damit ich nicht verreise“, sagt Hana.

„Kostengünstig“ sei das Lager, meint der Pförtner. Und außerdem nicht so schlimm. „Und wo wohnst du?“, fährt ihn ein Flüchtling an. Die Antwort kommt prompt: „Ich bin ja hier geboren.“ „Rassist“, brüllt einer, „Nazi“. Der Pförtner nimmt’s gelassen: „Dass das ’nen Koller gibt, wenn man so lange hier ist – das kann ich mir gut vorstellen.“