Das Gegenteil von sexy

Graeme Dott ist neuer Snooker-Weltmeister. Das Finale gegen Peter Ebdon, das der Schotte mit 18:14 für sich entscheiden kann, dauert 14 Stunden und ist selbst den größten Fans eine Spur zu episch

„Ich war so erschöpft, dass ich dachte, ich würde es nicht mehr schaffen“

AUS SHEFFIELD SUSANNE BURG

Snooker-Fans lieben den oft epischen Charakter der Duelle auf dem grünen Tuch, das Hin- und Herwogen der Spielverläufe. Doch selbst für die größten Fans war das Finale der Weltmeisterschaft etwas zu episch. In diesem Jahr bekamen viele Zuschauer nicht mehr mit, dass der Schotte Graeme Dotte als Weltmeister aus dem mit 1,4 Millionen Euro dotierten Turnier hervorging. Sie hatten das Crucible Theater in Sheffield bereits verlassen oder ihren Fernseher ausgeschaltet.

Auf diese Weise verpassten sie gleich zwei – wenn auch nicht gerade ruhmreiche – Rekorde: das Endspiel zwischen dem 28-jährigen Dott und dem 35-jährigen Engländer Peter Ebdon endete um ein Uhr nachts und war damit die späteste Final-Entscheidung in der Geschichte der Weltmeisterschaft. Etwas früher am Abend hatten die beiden den längsten Satz in einem Weltranglistenturnier gespielt, das je vom Fernsehen übertragen wurde. Er dauerte geschlagene 74 Minuten.

Snooker-Spieler brauchen eine gute Kondition: Im zweitägigen Finale werden maximal 35 Sätze gespielt. Ein kleiner Marathon. Das diesjährige Endspiel stellte die Kräfte der beiden allerdings auf eine besondere Probe. Es dauerte insgesamt knapp 14 Stunden – „ein einziger Ausdauer-Test“, wie Graeme Dott hinterher zugab. „Ich war so erschöpft, dass ich dachte, ich würde es nicht mehr schaffen.“

Dott ist ein schmächtiger Mann. Als Witz kursiert über ihn, er könne die Netze der Snooker-Löcher bequem als Hängematte benutzen. Am Ende setzte er sich mit 18:14 durch, aber das Finale hatte nichts von der maschinengleichen Präzision, mit der Snooker-Stars sonst einen Ball nach dem anderen lochen, nichts von dem schwerelosen genialen Gelingen, das das Billard-Spiel auf diesem Niveau so attraktiv macht. Mühsam arbeiteten sich Peter Ebdon und Graeme Dott Punkt für Punkt nach oben. Und wurden dem Vorurteil gerecht, Snooker sei so wie Farbe beim Trocknen zuzusehen. „Weckt mich auf, wenn alles vorbei ist“, titelte eine britische Zeitung nach dem ersten Tag der Finalpartie.

Peter Ebdon spielt ein bisschen Snooker wie Bernhard Langer Golf – technisch einwandfrei, aber pedantisch. Langer führt keinen Schlag aus, bevor er nicht Wind und Wetter und die Ausrichtung der Milchstraße im Verhältnis zum Pluto geklärt hat. Ähnlich verhält es sich mit Peter Ebdon. Immer wieder läuft der studierte Altphilologe und Hobby-Pferdezüchter um den vier Meter langen Tisch und inspiziert die Lage der Kugeln. Graeme Dott spielt etwas flüssiger, aber auch bei ihm wirkt es ein bisschen, als würde eine Operation am offenen Herzen durchführen.

Dabei kann Snooker durchaus sexy sein. Und der Sex-Appeal trägt auch einen Namen: Ronnie O’Sullivan. Sein Spiel ist das genaue Gegenteil von Peter Ebdons. Schnell, flüssig, energievoll. Doch Ronnie „the rocket“ O’Sullivan ist im Halbfinale ausgeschieden. Er machte Schlagzeilen, als er nach dem Spiel einen Jungen aus dem Publikum zu sich winkte und ihm sein Queue schenkte. Die Experten diskutierten sich die Köpfe darüber heiß, ob der zweifache Weltmeister diese Geste nicht bitter bereuen wird. Denn Queues sind nicht einfach nur Arbeitsmittel, sie gelten als der verlängerte Arm der Snooker-Spieler. Der legendäre Fred Davis etwa spielte fünfzig Jahre mit dem gleichen Queue. Als Diebe 1990 Stephen Hendrys Queue stahlen, bot sein Management 10.000 Pfund Belohnung für die Rückgabe an.

Noch vor der Weltmeisterschaft hatte auch Ronnie O’Sullivan erklärt, sein Trainer passe besser auf sein Queue auf als auf ihn, aber der genialische Spieler ist eben auch dafür bekannt, ab und zu mal seine Meinung zu ändern. Der 30-jährige Brite hat häufig mit mangelnder Motivation zu kämpfen und spielt als einziger während eines Turniers abwechselnd mit links und mit rechts, um seine Konzentration aufrechtzuerhalten. Für die neue Saison brauche er eine Herausforderung, sagte er im Anschluss an seine Geschenkaktion. Daher also ein neues Queue. Als er dann noch erklärte, er würde sich das Finale ansehen und „vor dem Fernseher kleben“, erntete er große Lacher, denn selbst Graeme Dott hatte vorab eingeräumt, dass es ein bisschen langweilig werden könnte. Aber da ahnte noch keiner, dass im Crucible Theater Geschichte geschrieben würde.