Dänen wollen Schüler ganztags integrieren

Nicht nur in Deutschland haben Migranten schlechte Bildungschancen. Auch in Dänemark. Dort sollen Ganztagsschulen für Gerechtigkeit sorgen

Jeder vierte Neuntklässler verlässt die Schule, ohne richtig lesen und schreiben zu können. Bei Kindern aus Migrantenfamilien liegt diese Zahl sogar bei 55 Prozent. Das sind keine Zahlen aus Berlin oder Frankfurt, sondern aus Kopenhagen. An ihnen wird deutlich: Auch Dänemark hat Probleme mit seinen Hauptschulen – und versucht nun durch ein neues Konzept der Ganztagsschule eine Lösung zu finden.

Als Modellversuch dienen drei Schulen Kopenhagens mit besonders problematischer Schülerstruktur. Dort beträgt der Anteil „zweisprachiger Kinder“ – wie jene aus Migrantenfamilien hier genannt werden – jeweils über 85 Prozent.

Um 13 Uhr ist an Dänemarks „Folkeskole“ normalerweise Unterrichtsschluss. Danach können die Schüler allerdings auch jetzt schon in einem gut ausgebauten System betreuter „Freizeitklubs“ ihre Hausarbeiten machen. Außerdem gibt es Freizeitangebote unter der Aufsicht von gut ausgebildetem Personal. Doch gerade von den Migrantenkindern nehmen nur die Hälfte dieses Angebot wahr. Die Kopenhagener SchulpolitikerInnen sehen darin einen Grund für die ungleichen Bildungschancen.

Die obligatorische Ganztagsschule soll nun am Nachmittag Hausaufgabenhilfe und die Möglichkeit für zusätzlichen Unterricht in der dänischen oder der Muttersprache bieten. Um diesen Schulen keinen Negativstempel aufzudrücken – sondern sie besonders attraktiv zu machen – sollen sie jeweils als Sport-, Musik- oder Wissenschaftsschule hervorgehoben werden.

Die personelle Ausstattung wird dafür kräftig aufgestockt. „Das wird den Schülern ein gutes Fundament geben, besser integriert zu werden“, erwartet Jan Trojaborg, Vorsitzender des Kopenhagener Lehrerverbands. Auch die Eltern seien sicher an einer solchen Schule interessiert. „Heute können sie ja kaum kontrollieren, was ihre Kinder nach der Schule machen“, sagt Trojaborg.

Hinter dem Ganztagsschulversuch in Kopenhagen steht eine Allparteienkoalition unter Führung der auf kommunaler Ebene regierenden Sozialdemokraten und Linkssozialisten. Nur von ganz links kommen Bedenken zu der obligatorischen Schulanwesenheit anstatt Freizeit und Freiheit. „Viele Jugendliche finden gerade außerhalb der Schule und deren fachlichem Fokus ihre Bestätigung“, kritisiert Khaled Mustapha, Bildungsexperte der „Einheitsliste“.

Die Ganztagsschulen sind ein Punkt eines breiten Reformprogramms für die Entwicklung der neunjährigen obligatorischen Volksschule, auf das sich die HauptstadtpolitikerInnen geeinigt haben. Darüber hinaus sollen für alle Fünfjährigen Tests ihrer sprachlichen, motorischen und sozialen Fähigkeiten angeboten werden. Vorschulklassen werden so organisiert, dass die Fünfjährigen mindestens zur Hälfte aus „altdänischen“ Familien kommen.

Den „Ghettoschulen“ will man nicht mit Zwangsumverteilung begegnen, da man ein Ausweichen Gutbetuchter an freie Schulen befürchtet. Stattdessen werden an allen Schulen Plätze speziell für „Zweisprachige“ reserviert. „Es gibt keinen Grund für Zwang“, sagt Bo Asmus Kjeldgaard, linkssozialistischer Schulbürgermeister Kopenhagens: „Wir wissen, dass zweisprachige Eltern ihren Kindern sowieso den bestmöglichen Schulgang wünschen. Und dazu gehören dänische Schulfreunde.“

Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus verstärkt werden: Die LehrerInnen in der 1., 4. und 6. Klasse werden sich zu häuslichen Besuchen anmelden. Die LehrerInnen sollen binnen der kommenden zwei Jahre ein umfassendes Nachschulungsprogramm absolvieren.

REINHARD WOLFF, STOCKHOLM