: Hunger auf Mamas Quarktaschen
Manu Larcenet hat mit „Hundejahre“ die wundersamen Abenteuer von Sigmund Freud in Amerika festgehalten. Anders als in den sonst üblichen Bildungs-Bilderbüchern zum Leben des Psychoanalytikers schickt der französische Comiczeichner seinen Freud lieber auf halluzinogene Pilztrips
Ein weißbärtiges Männchen blickt über die Reling eines Segelschiffes. Küstenumrisse tauchen am Horizont auf. „Amerika!!“, schreit der schmächtige Wicht und streckt der Neuen Welt begeistert seine Wurstfinger entgegen: „Ein fast neuer Kontinent zum Analysieren!“
Sigmund Freud hat keine Lust mehr, seine neue Wissenschaft an „hysterischen alten Schachteln“ in Wien auszuprobieren – lieber will er neurotische Cowboys und Indianer aus der Barbarei führen. Leider erweisen diese sich als völlig analyseresistent. Als Patient bleibt ihm nur ein Hund namens Spot, der den Wilden Westen auf der Suche nach seiner Seele durchstreift.
Der Zeichner Emmanuel „Manu“ Larcenet hat ein besonderes Verhältnis zu Freud. Schon in den zwei Bänden „Der alltägliche Kampf“, die auf Deutsch ebenfalls bei Reprodukt erschienen (2004/2005), legte er seinen Protagonisten Marco auf die rote Couch. Nun lässt er den Begründer der Psychoanalyse allerlei Abenteuer erleben: Er entkommt einem Dorf voller Hinterwäldler, die Fremde gern den Schweinen zum Fraß vorwerfen; er übersteht die Begegnung mit einem Wanderschamanen, der ihn mittels halluzinogener Waldpilze ins Delirium versetzt – und er steckt einen schrecklichen Albtraum weg, in dem er zur „Mutterstrafe“ verdonnert wird: Mama erscheint im knallscharfen Fummel und versucht zielstrebig, ihr schockiert-erotisiertes Söhnchen flachzulegen.
Vielleicht hängt Larcenets Fasziniertsein von dem Wiener Neurologen damit zusammen, dass er genau 113 Jahre nach Freud, am 6. Mai 1969, im französischen Issy-les-Moulineaux geboren wurde; er wird also übermorgen, am 150. Geburtstag Freuds, 37 Jahre alt. Über 30 Alben legte Larcenet bislang vor – allein oder mit französischen Zeichnern der Gruppe L’Association um Lewis Trondheim und Joann Sfar. Trondheim war es, der einmal die wohl aufschlussreichste Charakterisierung des Künstlers lieferte: „Manu Larcenet ist jemand, der Furzwettbewerbe nicht leiden kann.“
Deutschen Lesern dürfte er vor allem als Zeichner der von Trondheim geschriebenen „Kosmonauten der Zukunft“ bekannt sein; zudem gestaltete er die „Donjon“-Geschichten Trondheims und Sfars. Der erste Band von „Der alltägliche Kampf“ wurde 2004 auf dem Comic-Festival von Angoulême als „bestes Album“ ausgezeichnet; jetzt ist Larcenet mit der Geschichte des von Angstanfällen zerquälten Fotografen Marco auch für den Max-und-Moritz-Preis – die wichtigste deutsche Comicauszeichnung – nominiert.
Als fantasievoller Szenarist erweist sich Larcenet auch in „Hundejahre“. Freuds Amerikareise im Herbst 1909 mag ihn zu der Geschichte angeregt haben, doch glücklicherweise versucht Larcenet nicht, sich sklavisch an realen Ereignissen entlangzuhangeln. Statt sich, wie zuletzt Christian Moser („Sigmund Freud. Die ganze Wahrheit“, Carlsen Verlag), durch ein witzelnd-belehrendes Bildungsbilderbuch zum Erfüllungsgehilfen seriöser Freud-Exegese zu machen, erfindet er lieber eine eigene Geschichte.
So reist sein Freud, anders als im richtigen Leben, nicht in Begleitung von Carl Gustav Jung und dem Budapester Arzt Sándor Ferenczi, sondern mit einem gewerkschaftlich indoktrinierten Assistenten namens Igor. Der sorgt sich nur um eins: Wie soll er in der Prärie Zutaten für Strukli auftreiben, die mit Kaninchenfleisch und Nüssen gefüllten Quarktaschen seiner Mama?
Mit ihren Knollennasen sind die Figuren so verniedlichend gezeichnet, dass man sie am liebsten Siggi und Iggi nennen würde. Diese Schlichtheit macht Larcenet indes durch eine detailfreudige Seitengestaltung wett: Ungewöhnliche Perspektiven, die schwarz-weiß schraffierte Kindheitserinnerung des Hundes, ein großflächig in Rottönen koloriertes finales Inferno – angesichts solcher Vielseitigkeit verweilt man beim Lesen gern länger bei einzelnen Panels. Und kann dabei einigen Appetit auf Strukli – und Mama – entwickeln.
BRIGITTE PREISSLER
Manu Larcenet: „Die wundersamen Abenteuer von Sigmund Freud. Hundejahre“. Reprodukt, Berlin 2006, 48 Seiten, 12 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen