Lobby für Toleranz

Das AJC nimmt Einfluss auf die US-Politik und ruft Verschwörungstheoretiker auf den Plan

Merkel geht es auch darum, die Arbeit der jüdischen Lobby in der US-Hauptstadt zu ehrenErsten spürbaren politischen Einfluss nahm das AJC während des US-Wahlkampfs 1960

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Einen Kanzlerinnen-Termin hatte Angela Merkel schon, bevor sie überhaupt Kanzlerin wurde: die Einladung nach Washington zur Feier des 100-jährigen Jubiläums des American Jewish Committee, an der auch US-Präsident Bush und UN-Generalsekretär Kofi Annan teilnehmen. Merkel sagte sofort zu, obwohl sie sich noch im Hin und Her der Bildung der großen Koalition befand. Dass Deutschland und das AJC eine lange gemeinsame Geschichte haben (s. u.) ist nicht der einzige Grund, warum ausgerechnet die deutsche Regierungschefin dort erwünscht ist. Glaubt man diplomatischen Kreisen, geht es Merkel auch darum, die Arbeit der jüdischen Lobby in der US-Hauptstadt zu ehren.

Beim Begriff „jüdische Lobby“ ist man auch schon mitten in der stets glimmenden Debatte um den jüdischen Einfluss auf die US-Politik. David Harris, Direktor des AJC, erklärte es einmal in einem taz-Interview so: „Lobbying ist in der amerikanischen Politik eine ganz normale und natürliche Aktivität. Egal ob es Ärzte sind, Kubaner, Katholiken, Farmer, jede Gruppe versucht, Einfluss zu nehmen. Juden sind da nicht anders, auch sie haben Interessen und Sorgen.“

Mit einem Blick auf die Geschichte des AJC wird schnell klar, dass sich seit 1906, dem Gründungsjahr, der Kampf gegen den Antisemitismus wie ein roter Faden durch die Arbeit des AJC zieht. Ging es in den 1910er-Jahren um die Suche nach Solidarität unter amerikanischen Glaubensgemeinschaften gegen den Antisemitismus und die Judenverfolgungen in Russland, so bemühte sich das AJC in den 20er-Jahren um mehr Verständnis im eigenen Land. Etwa bei seinen katholischen Landsleuten, unter denen antijüdische Äußerungen und Vorurteile damals weit verbreitet waren. In den 30er- und 40er-Jahren erhielt das AJC christliche Unterstützung bei seinen Versuchen, Einfluss auf das NS-Regime zu nehmen. Schließlich initiierte das AJC in den 40er-Jahren eine Schulbuchkommission, die jüdische und christliche Textbücher auf darin formulierte Vorurteile gegen die jeweils andere Religion hin untersuchten.

Schon 1944 machte sich das AJC Gedanken darüber, wie die PR-Arbeit in Sachen Toleranz und Akzeptanz am besten funktionieren könnte. Nach einer internen Studie über die eigenen Erfolge änderte das AJC die Strategie – weg von einer „Ansprache der Massen“, hin zu einer „Ansprache der Klassen“. Gemeint war das, was heute unter klassischer Lobbyarbeit verstanden wird, nämlich der Versuch der Kommunikation mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen wie Arbeiter, Unternehmer und Gemeindeführer. Ersten spürbaren politischen Einfluss nimmt das AJC während des US-Präsidentschaftswahlkampfs 1960. Es stellt sich deutlich gegen die antikatholischen Ressentiments, die dem jungen John F. Kennedy entgegenschlagen. Dessen Sohn, John jr., sagte später, dass das Engagement des AJC entscheidend dazu beitrug, dass sich die öffentliche Stimmung im protestantischen Amerika änderte. Auch den schwarzen Reverend Martin Luther King unterstützte das AJC zu einer Zeit, als es keineswegs hoffähig war, die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ihre Ziele ernst zu nehmen.

AJC-Direktor David Harris sagte Anfang dieser Woche bei der Vorstellung des neuen interaktiven Onlinearchivs der Organisation, dass „unsere Geschichte die Evolution der amerikanisch-jüdischen Community widerspiegelt. Das AJC hat positiv daran mitgewirkt, die amerikanische Gesellschaft und ihre internationalen Beziehungen zu prägen.“

Genau das machen der jüdischen Lobby Kritiker und Verschwörungstheoretiker immer wieder zum Vorwurf. Neues Futter bekam diese Debatte nachdem im März dieses Jahres ausgerechnet an der Eliteschmiede Harvard eine Studie zweier renommierter Uniprofessoren erschien, die zu dem Schluss kommt, dass die amerikanische „Israel-Lobby“ schuld sei an Terrorgefahr und Irakkrieg. Das Papier löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die Autoren John Mearsheimer von der Universität Chicago und Stephen Walt von Harvard formulieren ihre These selbst so: Die Unterstützung der USA für Israel ist konsequent und nachhaltig, aber manchmal entspricht sie nicht den Interessen der USA. Eliot Cohen, Professor für internationale Studien an der Johns-Hopkins-Universität feuerte zurück: „Das war keine Studie über die US-Politik im Nahen Osten. Das war eine fundamentale Attacke gegen die Loyalität der amerikanischen Juden.“ Die Debatte, von Antisemiten und judenfeindlichen Kreisen laut oder heimlich gefeiert, zeigt, dass das AJC seine vorrangigste Aufgabe, nämlich für die Akzeptanz und die Interessen der Juden in Amerika zu kämpfen, weiter intensiv betreiben muss.

Die Administration von Präsident Bush, obwohl von starker evangelikaler Überzeugung, hat sich in Person von Außenministerin Rice bei einem früheren Jahrestag des AJC dessen Prinzipien angeeignet: „Wir engagieren uns im weitesten Sinne bei dem Aufeinanderprallen von Ideen über die Moderne hinsichtlich Toleranz, Respekt und Traditionen. Denn wir können keine stabile, friedlichere Welt errichten, wenn Unterschiede als ein Freifahrschein zum Diskriminieren und Töten gesehen werden.“