Die Dame Gaga

POP Bei der Vorstellung ihres „Artpop“-Albums in der Halle am Berghain präsentierte sich Lady Gaga weniger als Musikerin – dafür aber mit einem Bart

Wahrscheinlich hat sie’s immer noch ein bisschen mit der Hüfte. Sonst würde sie mehr herumtanzen, sich mehr schütteln, eben jene gekonnt-artistischen Dancemoves performen, die sie einst als Go-go-Tänzerin lernte und die zu ihrer Musik passen wie ein Oberschenkelknochen in eine gesunde Gelenkpfanne: Bei der Pre-Listening-Session zu Lady Gagas neuem Album „Artpop“ am Donnerstagabend in der Halle am Berghain setzte sich Gaga immer wieder auf den Bühnensessel, lächelnd zwar, mit den Armen weiterwedelnd wie beim Bodenrock, aber man kann sich vorstellen, dass so ein Hüftknochenbruch langwierig ist.

Außerdem schüttelte sich dafür das Publikum umso begeisterter. Man wollte schließlich auf den Filmaufnahmen auftauchen, die teilweise von der Sängerin selbst mit einer kleinen Kamera gemacht wurden, die sie durch die Menge schwenkte. Und die die einzige legale Kamera am Ort darstellte: Sämtliche Handys waren – üblich bei solchen Events – konfisziert worden, damit aber auch gar nichts vorher durchsickert und einem der letzten lukrativen Popstars der Branche die Ernte verhageln könnte.

Dabei kommt die Platte eh schon am 8. November raus, aber der Veranstalter Ampya, der sich wie „Empire“ spricht und als „Musikplattform“ des Privatsenderkonglomerats ProSiebenSat1 momentan in Richtung Musik-Internetcontent expandiert, wollte die Exklusivität des Moments garantieren. Lady Gaga live im Berghain, zwar weniger als Musikerin (am Ende sang und klavierspielte sie tatsächlich noch die Ballade „Gypsy“), sondern eher als sitzende Dancegöttin mit angeklebtem Jean-Pütz-Schnäuzer, Bikini und blonden Wimpern, aber immerhin: Eine Menge Geld wird über verschiedene Theken geschoben worden sein, damit das Portal seinen Streamcontent bekommt, das „Haus of Gaga“-Team ein bisschen Videoclipmaterial abgreifen kann und die Bild-Zeitung seit Tagen auf die Veranstaltung hinweisen und mehrere Karten an besonders treue Fans verlosen konnte.

Diese glücklichen Fans durften zusammen mit weiteren „little Monsters“, die sich für den Abend qualifiziert hatten, nach der ohrenbetäubenden Listening-Session auf eine kleine, von der Crowd eingerahmte Bütt inmitten des martialischen Betongebäudes steigen, und Gaga per Mikro ihre – vorher selbstredend abgesprochenen – Fragen stellen.

Das erklärt vermutlich auch, wieso niemand wissen wollte, ob die Bild und die LGBT-Aktivistin Lady Gaga denn wirklich so ein „match made in heaven“ sind. Oder ob es der Frau vielleicht im Großen und Ganzen doch nur darum geht, im Mainstream aufzutauchen, egal wie. Was an sich nicht schlimm sein muss. Aber dass demzufolge fast nur Befindlichkeitsfragen á la „Wie schaffst du es, immer so nett zu sein?“ und Statements wie „Du wohnst in meinem Herzen“ gewechselt wurden, machte die Veranstaltung zu einem extrem konturlosen und oberflächlichen Live-your-dream-Geseiere, das musikalisch bereits ein paar Minuten vorher bei einer an Bonnie Tylers schaurigen Rockröhrensound erinnernden, relativ groovefreien Ballade einen ersten Tiefpunkt erreicht hatte.

Sinnvoll ist es dennoch, die ungeliebten Prelistenings genau an einem solchen Ort und genau in der Lautstärke anzusiedeln, die einem für die Musik angemessen erscheint: Der Abend mit der leicht maladen, dennoch sehr zugewandten 27-Jährigen hatte etwas von einem Clubbesuch, bei dem alle den gleichen Fokus haben. Und alle sich nebenbei liebhaben. Und alle dankbar sind, dass Gaga ihr Leben veränderte. Und alle begeistert beide Hände zusammenschlagen, um symbolisch die Symbiose von „Kunst“ (rechte Hand“) und „Pop“ (linke Hand) darzustellen. Eines muss man ihr lassen: Zu verkopft ist Gaga nicht. JENNI ZYLKA