Spuren des Aufstiegs

HINTERLASSENSCHAFTEN Nach der St. Pauli-Feier, am Montag um halb eins, kamen die Männer in Orange und räumten alles weg. Eine Fahrt durch die Plastikbecherflut auf der Reeperbahn

Passanten und Kehrmaschine weichen einander aus, bewegen sich im Slalom über die Promenade

VON SILKE RITTER

Der Spielbudenplatz glitzert. Zwischen Bierständen und Absperrgittern schimmern Hügel aus Eiswürfeln, die sich langsam auflösen, während die letzten Gäste die Party des Jahres verlassen. Es knirscht und knackt, als sie durch die Flut an Plastikbechern in Richtung der Busse und Taxen waten. Der FC St. Pauli hat den Aufstieg geschafft und zehntausende Fans haben gefeiert bis die letzte Bahn fuhr – das war um halb eins.

Als einer der letzten verlässt gegen zwei Uhr St. Pauli-Trainer Holger Stanislawski das Schmidts Tivoli. Zwischen Eisbergen und Kehrmaschinen hindurch bahnt er sich einen Weg. Eine Handvoll trunkener Fans jubelt ihm zu. Sankt Pau-le-ey! Sankt Pau-le-ey! Die ganze Nacht hindurch sind die Rufe zu hören, selbst dann noch, als die Spuren der Freude längst beseitigt sind.

Zwölf Tonnen Müll haben die Pauli-Fans bei der letzten Aufstiegsfeier produziert. Diesmal dürfte es weniger sein. Plastikberge sind leicht, und seit einem Jahr gilt das Glasflaschenverbot auf der Reeperbahn. Die Flaschen, die trotzdem da sind, sind um so begehrter: In Einkaufswagen und großen Taschen tragen die Flaschensammler schon den ganzen Abend lang das Pfandgut zusammen. Säckeweise schleppen sie Flaschen und Dosen davon. Gegen Mitternacht stellen sie ihre Arbeit ein und schieben die Pfandberge davon. Sie überlassen das Feld der Stadtreinigung, die sich am Millerntorplatz formiert.

Um halb eins ist Dienstbeginn für die Kolonne in Orange, die mit Besen und Maschinen die Spuren dieser Aufstiegsnacht verwischen wird. Hinter den Männern mit den Besen, die den Müll grob zusammenkehren, nimmt eine Kehrmaschine mit großen runden Besen ihre Arbeit auf. Mit zwei Stundenkilometern frisst sie sich durch den Müllteppich. Sie verschlingt die Überreste des Festmenüs, das bei den St. Pauli Fans vor allem aus Burgern, Bier und Jägermeister zu bestehen scheint.

Das Muster des Müllteppichs verändert sich alle paar Meter, je nachdem, welche der großen Imbiss-Ketten gerade in der Nähe ist. Es fängt mit dem Rot-Blau von Kentucky Fried Chicken an, geht weiter mit dem roten Logo von Burger King und endet mit dem großen gelben „M“ auf dem Spielbudenplatz, wo sich gegenüber der Mc Donald’s befindet. Das „M“ ist die Nahrung der St. Pauli-Fans, und ihr Bier heißt Astra.

Im gläsernen Führerhaus der Kehrmaschine ist es eng, die Scheiben trennen den Beobachter vom Objekt. Man fragt sich, wer in welcher Rolle ist: Es ist ein Blick wie aus einer Tauchglocke. Passanten und Kehrmaschine weichen einander aus, bewegen sich im Slalom über die Promenade. Es ist eine holprige Choreografie. Ein orientierungsloser Betrunkener versucht den Heimweg zu finden, indem er der Kehrmaschine folgt. Einige Bahnen läuft er in Schlangenlinien hinterher, bevor er aufgibt. Die letzten feiernden Fans bejubeln nun auch die Kehrglocke.

Gegen vier Uhr ist dem Spielbudenplatz nichts mehr anzusehen. Das letzte silberne Konfetti, das acht Stunden zuvor vom Balkon des Tivoli regnete, ist in den überdimensionalen Staubsaugern verschwunden. Es wird ruhig auf dem Kiez. Von irgendwo ruft eine heisere Stimme: Sankt Pau-le-ey! Sankt Pau-le-ey!