Obdachlose erobern die Kö

Auf dem ersten Berber-Symposium „Wem gehört die Straße?“ protestieren Wissenschaftler und Sozialarbeiter gegen die Vertreibung von Wohnungslosen aus der Düsseldorfer Innenstadt

AUS DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Auf der Düsseldorfer Königsallee werfen Studierende mit bunten Bällen auf das Foto des CDU-Oberbürgermeisters Joachim Erwin. Jedem, der die Zielscheibe trifft, schleudert die grün bemalte, selbst gezimmerte Wurfmaschine einen Schokokuss zurück – ein Highlight beim ersten „Berber-Symposium“ auf der Konsummeile der Landeshauptstadt.

Anlass der Konferenz, die von der FH Düsseldorf, dem Obdachlosen-Magazin fifty-fifty sowie der Altstadt-Armenküche organisiert wurde, ist Erwins Straßenordnung. Der umstrittene Verbotskatalog läuft nach zehn Jahren aus und soll im Herbst durch eine neue Verordnung ersetzt werden. Stein des Anstoßes ist vor allem Paragraph 6, der unter anderem „agressives Betteln“ und das „Lagern in Gruppen“ verbietet.

Auf dem zur Bühne umgebauten LKW ergreift Klaus Riekenbrauck vor etwa hundert ZuhörerInnen, von denen nur wenige obdachlos sind, das Wort. „Um aggressive Belästigung zu ahnden, reicht der Nötigungsparagraph im Strafgesetzbuch“, sagt der Dozent für Rechtswissenschaft an der FH Düsseldorf (siehe Interview). Auch die angehenden SozialarbeiterInnen, die Riekenbrauck unterrichtet, sehen die Straßenordnung als überflüssig an. „Das ist alles so schwammig formuliert“, sagt die 24-jährige Domique Kurzawe. So könne man die Paragraphen einfach nur gegen Gruppen richten, denen man sich entledigen will.

Thomas Wagner ist Streetworker in der Altstadt. Seit Joachim Erwin an der Macht sei, würde zu bestimmten Anlässen „aufgeräumt“ – zum Beispiel, wenn eine Messe anstehe. „Es gibt immer öfter Platzverweise“, sagt der 46-Jährige. Diese würden entweder von der Polizei oder vom städtischen Ordnungsdienst auferlegt. Dort sei in den vergangenen sechs Jahren die Mitarbeiterzahl von 20 auf 130 gestiegen. Dabei gebe es keinen Grund für die Düsseldorfer, sich von Obdachlosen bedroht zu fühlen: „Eine reiche Stadt wie diese muss sich eine kleine Randgruppe leisten können“, findet Wagner.

In der Altstadt arbeitet und wohnt auch Pastor Wolfgang Siefert. „Mich stören dort mehr die gröhlenden Touristengruppen, als ein paar Obdachlose“, sagt er in seiner Rede. Die Straßenordnung habe nichts dazu beigetragen, das Zusammenleben der Menschen in der Stadt zu verbessern. „Wir müssen ein Klima schaffen, in dem klar ist, dass auch andere einen Lebensraum brauchen.“ Ein paar ZuhörerInnen klatschen.

Gegen Mittag setzt sich auf der Kö ein Protestzug von Symposium-TeilnehmerInnen in Bewegung. An der Spitze ein rollender Müllcontainer, in dem zwei Demonstranten stecken. Ein paar Meter hinter dem Protestzug bettelt ein junger Mann schicke Kö-Gängerinnen im Straßencafe um Geld an. „Können Sie bitte hier weggehen“, sagt die Bedienung in wirschem Ton. Sie kann das mit gutem Gefühl tun: Sie hat Erwins Ordnung hinter sich.