Interesse rein beruflich

Landgericht Kiel spricht früheren Jugendschutzbeauftragten der Stadt frei, der sich Kinderpornographie aus dem Internet lud. Er habe nur seine Dienstpflichten erfüllt. Nun wird der Bundesgerichtshof eine Grundsatzentscheidung treffen müssen

Von Elke Spanner

Nun ist der Bundesgerichtshof (BGH) gefragt. Der wird zu klären haben, wann sich jemand beim Surfen auf kinderpornographischen Internetseiten auf seine Dienstpflichten berufen darf. Das Landgericht Kiel hat gestern den früheren Jugendschutzbeauftragten der Stadt freigesprochen, der wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder auf seinem Dienst-PC angeklagt war. Wiederholt hatte sich Ernst K. durch indizierte Seiten geklickt. Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, eine Grundsatzentscheidung über derartige Fälle anzustreben und vor das oberste Gericht zu ziehen.

Im Jahr 2002 hatte sich der heute 57-jährige Pädagoge auf seinem Dienst-PC sechs Mal Dateien mit hunderten Bildern beschafft. Vor Gericht behauptete er, nur Seiten aufgerufen zu haben, die auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften standen. Als Jugendschutzbeauftragter habe er überprüfen wollen, ob die illegalen Seiten weiterhin verfügbar seien. Das Landgericht hat in seinem Urteil anerkannt, dass er nicht aus pädophilen Neigungen, sondern in Erfüllung seiner Dienstpflichten handelte.

Ernst K. ist ein Pädagoge wie aus dem Bilderbuch. Als er noch Jugendschutzbeauftragter von Kiel war, kam er stets in Jeans ins Büro. Will man sich Jugendlichen annähern, ist es ratsam, sich äußerlich nicht zu sehr von ihnen abzugrenzen. Also trug er Freizeit- statt Oberhemd, kam mit Rucksack statt mit Aktentasche. Er hat eine warme Stimme, und wenn er spricht, formuliert er jeden Satz mit Bedacht. Noch heute beteuert Ernst K., stets im pädagogischen Interesse von Kindern und Jugendlichen gehandelt zu haben – auch, als er sich Kinderpornographie aus dem Internet zog. Nur mit eigener fachlicher Kenntnis könne er andere über die Gefahren solcher Bilder informieren, argumentierte er.

Dabei hatte er bei seiner Internetrecherche seinen eigenen Verhaltenskodex missachtet: Auf einem Flyer hatte der Jugendschutzbeauftragte 2001 Erwachsene und Jugendliche dazu aufgerufen, die Entdeckung kinderpornographischer Seiten im Internet umgehend der Polizei zu melden. Er selbst hat das nicht getan. Er hat sich nicht einmal Notizen über die aufgefunden Adressen gemacht oder Kollegen in seine Recherchen eingeweiht. So ist dies nicht nur ein Fall über juristische Grauzonen, sondern auch über große Naivität oder das Vortäuschen derselben.

Rechtlich wirft der Fall zwei grundsätzliche Fragen auf, die noch nie höchstrichterlich entschieden wurden. Zum einen ist ungeklärt, ob schon das Aufrufen kinderpornographischer Bilder oder erst das Speichern per Mausklick strafbar ist. Der Angeklagte hatte die Seiten nur angeklickt. Sein Computer aber hat diese automatisch in einem Zwischenspeicher abgelegt. So hätte der Jugendschutzbeauftragte die Bilder später auch offline betrachten können. Das hat er nicht getan. Er selbst berief sich darauf, nicht einmal von der automatischen Speicherung gewusst zu haben. Allerdings: Einzelne Dateien wurden später wieder gelöscht – was einen bewussten Zugriff erfordert.

Die Staatsanwältin warf Ernst K. vor, sich strafbarerweise Besitz an den Bildern verschafft zu haben. Immerhin habe er im Internet gezielt nach diesen Seiten gesucht. Ab dem Moment, wo sie einmal auf seinem Rechner waren, hätte er sie jederzeit ausdrucken oder versenden können – also die „Herrschaftsgewalt“ über sie gehabt. Diese Auffassung vertritt auch der Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein, Erhard Rex. Er hat den Fall vor Gericht gebracht.

Der Anwalt des Jugendschutzbeauftragten hielt dagegen, dass „wir wieder bei der Inquisition angelangt wären“, wollte man aus systembedingten Zwischenspeicherungen Rückschlüsse auf pädophile Neigungen eines Internetnutzers ziehen. Auch das Gericht verneinte, dass der Angeklagte die Bilder strafbar „in Besitz“ genommen habe. Zumeist hatte er sie nur im Sekundentakt durchgeklickt, „wie einen Katalog“.

Zum zweiten wirft dieser Fall die Frage auf, inwieweit einzelne Berufsgruppen zu dienstlichen Zwecken kinderpornographische Seiten begutachten dürfen. Der frühere Jugendschutzbeauftragte hatte sich auf seine Dienstpflichten berufen. Die bestanden im Wesentlichen darin, Eltern und Jugendliche in Fragen der Suchtprävention, Rechtsextremismus, Okkultismus und eben sexueller Gewalt zu beraten. Dafür habe er sich Fachwissen aneignen wollen.

Die Staatsanwaltschaft aber argumentierte, dass nicht jeder, der beruflich Bezug zu Kinderpornographie habe, straffrei auf solchen Seiten surfen dürfe. „Man denke an das Heer aus Pädagogen, Journalisten, Politikern“, die dann problemlos Zugang zu Bildern hätten, die durch sexuellen Missbrauch entstanden sind.“ Jeder Klick auf einer solchen Seite bilde einen Anreiz für die Hersteller kinderpornographischer Bilder, weitere zu produzieren. Schließlich nehme ein Drogenbeauftragter „auch keine Drogen, um über deren Gefahren aufklären zu können“.