Alltägliche Fälschungen

Arte-Redaktionsleiter warnt vor schnell gestrickten Nachrichten-Filmchen. Denn: „Alle Bilder lügen“

Es muss ja manchmal sehr schnell gehen bei der TV-Nachrichten-Produktion. Angela Merkel hat kurz vor der Sendung noch für eine Meldung gesorgt, es gibt aber gerade keine frischen Bilder? Kein Problem, dafür sind Archive da. Da finden sich dann Merkels für jede Gelegenheit: Merkel lachend, Merkel unausgeschlafen, Merkel in Macherinnenpose, Merkel mit Münte. Bloß an die kleine Einblendung „Archivmaterial“ hat dann in der Hektik mal wieder keiner gedacht.

Als „alltägliche Fälschungen“ bezeichnet so etwas Andreas Schreitmüller, Autor des Buches „Alle Bilder lügen“. Schreitmüller, als Redaktionsleiter bei Arte zuständig für Spielfilm und Fernsehfilm, sieht diverse Ursachen für solche Fälschungen: „Arbeitstechnische Zwänge wie der Redaktionsschluss oder visuelle Klischees – es muss immer irgendwas gezeigt werden, egal was“, sagte er bei einem Vortrag an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam. Dazu komme mangelnde redaktionelle Sorgfalt. Doch während bewusste Verdrehungen von Fakten allgemein verpönt sind, würden solche alltäglichen Fälschungen fast immer akzeptiert.

Sie finden sich aber nicht nur bei unter Zeitdruck produzierten Nachrichten, sondern auch im Dokumentarfilm: Hier werde immer stärker historisches Filmmaterial, je nach Bedarf, in andere Kontexte gesetzt und teilweise sogar mit Spielfilmmaterial gemischt. Dabei dürfe man nicht davon ausgehen, dass die Zuschauer im digitalen Zeitalter unbedingt skeptischer geworden seien: Zwar sind die Möglichkeiten der digitalen Bildmanipulation allgemein bekannt – doch der Glaube an die Wahrheit der Bilder ist nicht so leicht zu erschüttern. „Die Bildkraft ist unendlich stark“, so Schreitmüller.

Und forderte deshalb einen „sorgfältigeren Umgang mit Material als Kennzeichen von journalistischer Qualität“ sowie einen Verzicht auf „beliebige Bilderteppiche“. Stattdessen sollten häufiger die Entstehungsbedingungen des gefilmten Materials thematisiert werden – „das wäre ehrlicher“. Außerdem fehle dem Fernsehen schlicht der Mut, Fragen offen zu lassen. Stattdessen würden immer einfache Thesen gesucht und viel zu selten verschiedene Meinungen zu einer Thematik gegenüber gestellt. – Arte-Themenabende schloss Schreitmüller in diese Kritik ausdrücklich mit ein.

Ein Lösungsvorschlag für das Problem der alltäglichen Fälschungen kam aus dem Publikum: Dank der Möglichkeiten des digitalen Fernsehens könnten den Zuschauern zukünftig Herkunftsnachweise zu den aktuellen Bilder optional eingeblendet werden. Fragt sich bloß, wer’s macht, wenn’s mal wieder ganz schnell gehen muss.MICHAEL BRAKE, Potsdam