DER ITALIENISCHE PRÄSIDENT CIAMPI HAT DAS LAND STABILISIERT
: Mutig gegen Defizit und Berlusconi

Kaum ein Show-Star, Sportler oder Politiker beherzigt die alte Weisheit: Man sollte abtreten, wenn man den Gipfel des Erfolgs erklommen hat. Einer aber hat sich jetzt dran gehalten: Italiens Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi. Populär wie keiner seiner Vorgänger hätte er sicher sein können, am nächsten Montag mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt zu werden. Doch Ciampi sagte einfach Nein, nicht bloß seiner 85 Jahre wegen. Italien drohe zur Quasi-Monarchie zu werden, wenn er eine zweite Amtszeit von noch mal sieben Jahren akzeptiere, nannte er als Grund der Verweigerung. Und präsentierte sich erneut so, wie ihn die Italiener kennen: als Diener des Staates.

Nur eines hat er gemein mit Berlusconi: Auch Ciampi kommt nicht aus der Politik. Bis 1993 war er Notenbankpräsident – und fiel in Zeiten hoher Staatsdefizite und hoher Inflation dadurch auf, dass er den Politikern regelmäßig die Leviten las. Dann rief man ihn als Retter in der Not: Als die Parteien der Ersten Republik unter den Korruptionsskandalen zusammenbrachen und Italien zugleich in einer schweren Wirtschaftskrise steckte, wurde Ciampi für ein Jahr Ministerpräsident – und schloss in seiner kurzen Amtszeit den ersten Sozialpakt zwischen Unternehmern, Gewerkschaften und Regierung, der das Land wieder stabilisierte.

Als Schatzminister dann, von 1996 bis zu seiner Wahl zum Präsidenten drei Jahre später, führte Ciampi Italien in den Euro. Ein mittleres Wunder – ein Wunder zudem, das es Italien erlaubt, die durch Berlusconi ausgelösten politischen Turbulenzen gelassen zu ertragen. Jetzt droht auch keine Lira-Krise mehr, wenn ein Wahlverlierer wochenlang über Stimmzettel debattieren will.

So hatte Ciampi dem Land nicht bloß ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Stabilitätskorsett verpasst, noch bevor er Präsident wurde. Italien kann sich heute Populisten wie Berlusconi oder Umberto Bossi – an der Regierung oder in der Opposition – erlauben, weil es, dank Ciampi, fest in Europa verankert ist. Wohl deshalb auch tritt der alte Herr jetzt ganz entspannt seinen Ruhestand an. MICHAEL BRAUN